Inklusion an deutschen Universitäten

Inklusion

Der Begriff Inklusion taucht in deutschen Medien vor allem im Kontext von Schulpolitik auf. Hinter dem Schlagwort steckt die Idee, Menschen mit und ohne Behinderung im Bildungssystem nicht in homogene Lerngruppen zu selektieren, sondern gemeinsam lernen zu lassen - zum Vorteil aller. Das Lernen in Vielfalt soll dabei nicht mit dem Schulabschlusszeugnis enden: Die 2008 in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention fordert von allen Mitgliedsstaaten, barrierefreie Teilhabe, Selbstbestimmung und Chancengleichheit auch im Hochschulsystem zu verwirklichen.

Eine Hochschule für Alle

Um die Inklusionsziele der UN an heimischen Universitäten umzusetzen, beschloss die deutsche Hochschulrektorenkonferenz im April 2009 die Empfehlung "Eine Hochschule für Alle". In diesem Papier verpflichteten sich die Konferenzmitglieder, die Chancengleichheit von Studenten mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten verstärkt zu fördern. Barrierefreie Gebäude sind dabei nur der allererste Schritt. Auch Lernmittel, Lehrveranstaltungen, Prüfungen und Verwaltungsprozesse müssen den Bedürfnissen Beeinträchtigter angepasst werden. Neben dem Mentalitätswandel kommt den Studierenden mit Handicap dabei auch ein wachsendes Angebot an IT-Hilfsmitteln zugute - z. B. Software, die wissenschaftliche Texte für Blinde und Sehbehinderte in Brailleschrift oder Audio-Dateien umwandelt. Nicht nur im Studium selbst, sondern bereits bei der Studienbewerbung gibt es der Fairness halber oft Sonderkonditionen für gesundheitlich Benachteiligte.

Behinderung ist nicht immer sichtbar

Neben körperlichen Behinderungen erschweren auch chronische somatische und psychische Erkrankungen sowie Teilleistungsstörungen den Hochschulalltag. Das Deutsche Studentenwerk hat 2011 herausgefunden, dass rund 8 % aller Studierenden in Deutschland sich durch gesundheitliche Aspekte im Studium beeinträchtigt fühlen. Das ergibt bei 2,4 Millionen deutschen Studenten immerhin 190.000 Betroffene. Diese hohe Zahl macht deutlich, wie wichtig erfolgreiche Inklusion im Hochschulwesen für die Wissensgesellschaft ist. Betroffene finden inzwischen an den meisten Hochschulen Behindertenbeauftragte und spezielle Beratungsstellen, die ihnen vor und während des Studiums Hilfestellung leisten. Bis zur komplett barrierefreien "Hochschule für Alle" ist es aber trotz aller Bemühungen vielerorts noch ein weiter Weg.

Barrierefrei studieren an deutschen Universitäten

Für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer ist der barrierefreie Zugang eine ebenso unabdingbare wie unüberwindbare Voraussetzung, wenn man ein Studium an einer deutschen Universität aufnehmen will. Tatsächlich belegen aktuelle Studien, dass Behinderte weniger an den Studieninhalten und den Studienmethoden scheitern und ein geplantes Studium vorzeitig abbrechen müssen oder mit einer verlängerten Studienzeit rechnen müssen. Vielmehr geht es um den barrierefreien Zugang zu Hörsälen und Vorlesungsräumen oder Bibliotheken, denn genau an dieser Stelle sind viele Universitäten in Deutschland sehr schwach aufgestellt. Als öffentliche Gebäude gedacht, fehlt es an Rampen zur Überwindung von wenigen Treppenstufen. Ebenso gravierend ist die Situation bei Aufzugsanlagen, die kaum breit genug sind, um für einen Rollstuhl Platz zu bieten. Damit wird die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen oder der Besuch der Universitätsbibliothek ebenso wie das Treffen mit Kommilitonen zu einer unterschätzten Herausforderung, die kaum zu bewältigen ist.

Für Behinderte bleibt somit letztlich nur die Möglichkeit, die von ihnen bevorzugte Universität hinsichtlich des barrierefreien Zugangs zu überprüfen. Sieht die präferierte Hochschule einen barrierefreien Zugang vor und können sich Rollstuhlfahrer mit ihrem Rollstuhl auch in oberen Etagen des Gebäudes frei und ohne Hilfe bewegen, mag die Wahl der Hochschule passend sein. Sieht die präferierte Universität dagegen keinen barrierefreien Zugang über alle Stockwerke vor, muss man sich für einen anderen Studienort entscheiden.

Insbesondere Behinderte sind allerdings auch eine sehr gefragte Zielgruppe für die Fernuniversitäten und Fernhochschulen. Wer sich also für einen bestimmten Studiengang interessiert, ist gut beraten, sich auch über das Programm an Fernstudiengängen zu informieren. Die Möglichkeiten eines Fernstudiums sind heute sehr gut sortiert, unterschiedlichste Studiengänge mit ebenso vielfältigen Zugangsvoraussetzungen stehen zur Verfügung, deshalb kann ein Fernstudium besonders für mobilitätseingeschränkte Studierende eine sehr gute Alternative sein. Das Studium findet überwiegend zu Hause statt, der Studienstoff wird mit Hilfe von Lehrbriefen vermittelt, und es erfolgt häufig eine Online-Betreuung. Präsenzveranstaltungen können gegeben sein, doch sie stellen den Studierenden wiederum vor die Herausforderung des barrierefreien Zugangs. Letztlich ist hier also durchaus Optimierungspotenzial an deutschen Hochschulen gegeben.

Informationen zum Schwerbehindertenausweis für Studenten mit Behinderung

Den Schwerbehindertenausweis erhalten die Menschen, die als schwerbehindert gelten. Dies ist der Fall, wenn der Grad der Behinderung mit mindestens 50 eingestuft wurde. Für den Erhalt des Schwerbehindertenausweises ist es wichtig, dass die betreffende Person ihren Hauptwohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.

Einzelheiten zum Schwerbehindertenausweis

Der Grad der Behinderung wird auf der Rückseite des Schwerbehindertenausweises vermerkt. Eine Änderung dieses Grads ist nur möglich, wenn sie sich innerhalb einer erneuten Überprüfung ergeben hat. Bei mehreren Behinderungen dürfen die Einzelgrade nicht zusammengerechnet werden. Wichtig für die Gesamteinstufung ist vielmehr, welche Auswirkungen die gesundheitlichen Störungen auf die Gesundheit des Betreffenden haben.

Vergünstigungen für Studenten

Mithilfe des Schwerbehindertenausweises können behinderte Studenten eine Härtefallregelung in Anspruch nehmen. Der Schwerbehindertenausweis kann vorgelegt werden, wenn ein Antrag auf sofortige Zulassung zum Studium gestellt wird oder wenn es darum geht, den Studienerstwunsch bezüglich des Ortes zu berücksichtigen. Auch bei einer Finanzierung über BAföG kann der Schwerbehindertenausweis genutzt werden, wenn besondere Konditionen für Behinderte in Anspruch genommen werden sollen.
Des Weiteren erstreckt sich der Einsatzbereich des Schwerbehindertenausweises auf die Vergabe von Wohnplätzen. Schwerbehinderte werden bei der Vergabe von Wohnraum bevorzugt berücksichtigt. Außerdem gibt es Vergünstigungen im Nah- und Fernverkehr, wenn der Schwerbehindertenausweis vorgelegt werden kann. Hier kann sogar ein Schein für die Freifahrt mit dem öffentlichen Personennahverkehr beantragt werden. Der Inhaber eines Schwerbehindertenausweises kann von der Pflicht zur Entrichtung der Rundfunkgebühren befreit werden.

Antragstellung ist wichtig

Studenten mit einem Schwerbehindertenausweis müssen für jegliche Vergünstigungen einen gesonderten Antrag bei der entsprechenden Stelle einreichen. Für Vergünstigungen in Bezug auf die Vergabe von Wohnraum muss daher das Studentenwerk kontaktiert werden, eventuell kommen auch die Wohnraumverwaltungen des jeweiligen Ortes in Frage. Wird eine Studienassistenz in Anspruch genommen, kann diese die Abwicklung der verschiedenen Anträge übernehmen bzw. den Studenten dabei unterstützen.

Europäische Gebärdensprach-Universität Bad Kreuznach

Für gehörlose Studenten stellt ein Studium eine besondere Herausforderung dar. Sie benötigen die Hilfe eines Dolmetschers für die Gebärdensprache, wenn sie an der Vorlesung teilnehmen wollen, und gleichzeitig sind umfangreiche zusätzliche Aufzeichnungen des Vorlesungsstoffes erforderlich, wenn sie den Vorträgen der Professoren folgen wollen. Deshalb wurde im Jahr 2010 der Versuch unternommen, eine eigene Universität für Gehörlose ins Leben zu rufen. Nach Washington D.C. wäre dies die zweite Hochschule ihrer Art, in der man in der Gebärdensprache studieren kann. Rund 300 Studenten sollen am Anfang Platz finden, die Eröffnung ist für das Jahr 2013 geplant. Zunächst als private Universität konzipiert, ist die Verstaatlichung und die europaweite Anerkennung das dedizierte Langfristziel. Geplant ist, sowohl tauben als auch hörgeschädigten und hörenden Studenten und Dozenten das Studium in Bad Kreuznach zu ermöglichen.

Die geplante Universität will unterschiedlichste Fachbereiche von Jura bis Tiermedizin abdecken, wobei man sich zunächst auf die Bachelor-Studiengänge konzentriert und anschließend den Master-Studiengang ins Auge fasst. Zu Beginn in zwei Fakultäten geplant, die auch Sprach- und Sozialwissenschaften beinhalten sollen, werden weitere Fakultäten im Lauf der Zeit hinzu kommen. Auch ein Media-Zentrum ist vorgesehen, welches Sendungen in der Gebärdensprache ausstrahlt. Nach Schätzungen des Deutschen Gehörlosen Bundes gab es im Jahr 2011 rund 100 gehörlose Studenten in Deutschland, doch diese Zahlen belegen, dass die Öffnung der Universität für gesunde Studierende dringend erforderlich ist.

Zwar dürfte die geplante Universität die Chancen von gehörlosen Studierenden auf einen adäquaten akademischen Abschluss gravierend erhöhen, doch bisher fehlt es weiterhin an den erforderlichen finanziellen Mitteln für den Bau der Hochschule. Rund 100 Millionen Euro wären erforderlich, so die ursprüngliche Planung, doch bisher ist erst ein Bruchteil dieser Summe an Spenden vorhanden. So sinnvoll es wäre, gehörlosen Studierenden ein effizienteres Studium zu ermöglichen, so sehr bleibt abzuwarten, ob dieses Ziel angesichts der finanziellen Probleme langfristig zu erreichen ist. Für Behinderte wäre es trotzdem ein hilfreicher Weg, einen akademischen Abschluss ähnlich zu erreichen wie dies für gesunde Studierende problemlos möglich ist.

Gehörlose an der Uni - Ein Studium ist enorm aufwendig

Für gehörlose Studenten kann sich ein Studium als äußerst aufwändig erweisen. Zwar gibt es häufig keine Probleme, den Studienstoff zu verstehen und zu verfolgen, doch allein die Vermittlung der Inhalte in den Vorlesungen will vorbereitet werden. Wer aufgrund eines eingeschränkten Hörvermögens dem Vortrag des Professors nicht folgen kann, ist auf einen Dolmetscher angewiesen, der das Gesagte in die Gebärdensprache übersetzt. Allerdings ist es dem gehörlosen Studenten nur eingeschränkt möglich, diesen übersetzten Vortrag mitzuschreiben, da die parallele Verfolgung der Gebärden und das Protokollieren kaum machbar sind. Damit könnte die Verfolgung einer normalen Vorlesung schon an einfachen Kleinigkeiten scheitern.

Abhilfe kann man durch eine Kopie der Lehrmaterialien von den Kommilitonen schaffen. Doch auch das Gespräch mit dem Professor ist zu suchen, damit dieser von Beginn an Kenntnis von seinem gehörlosen Studenten erhält. In jedem Fall wird sich die Vor- und Nachbereitung des Studienstoffs anhand von zusätzlichen schriftlichen Materialien und anhand von externer Literatur als sehr aufwändig erweisen, und dies gilt umso mehr, wenn die akademische Ausbildung innerhalb der normalen Regelstudienzeit zu absolvieren ist.

Deshalb suchen behinderte Studenten im Idealfall schon vor dem Beginn des Semesters die Unterstützung der Hochschule. Es gilt, frühzeitig in Erfahrung zu bringen, welche Hilfeleistung die Universität für Behinderte anbietet. Vielleicht gibt es einen Behindertenbeauftragten, vielleicht sind weitere Erleichterungen für gehörlose Studenten vorhanden. Diese sind in jedem Fall zu prüfen und in Anspruch zu nehmen, damit das aufwändige Studium für Menschen mit Hörbehinderungen von Beginn an realistisch zu absolvieren bleibt.

Eine interessante Ergänzung für gehörlose Studenten kann in Abhängigkeit von dem gewählten Studiengang die Aufnahme eines Gaststudiums an einer Fernhochschule sein. Dort wird das Lehrmaterial in Form von Studienbriefen vermittelt, Präsenzveranstaltungen dienen allenfalls der Ergänzung des Lehrstoffes. Eine Fernuniversität ist aber deutlich mehr auf die Vermittlung der Studieninhalte durch andere Medien angewiesen. So greift man regelmäßig auf schriftliche Unterlagen oder auf ein Online-Chat zurück. Solche Alternativen können für gehörlose Studenten sehr interessant sein, um das reguläre Präsenzstudium zu unterstützen.