Vietnam

Vietnam, Sozialistische Republik Vietnam, Abkürzung SRV: sozialistischer Staat in Südostasien; grenzt im Norden an China, im Osten und Süden an das Südchinesische Meer sowie im Westen an Kampuchea und Laos; administrativ in 36 Provinzen, die 3 zentralverwalteten Städte Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt, Hai Phong und das zentralgeleitete Sondergebiet Vung Tau Con Dao gegliedert. Währung ist der Dong.

Bevölkerung: 88% sind Vietnamesen, 2% Chinesen (Han), des weiteren existieren 52 nationale Minderheiten, die vorwiegend in den Berg- und Dschungelgebieten und im Mekong Delta (Khmer) leben. Amtssprache ist Vietnamesisch. Bei einer territorial sehr ungleichmäßigen Bevölkerungsverteilung sind die Hauptsiedlungsgebiete (80% der Einwohner) die Deltagebiete der großen Flüsse und die zum Teil sehr schmale Küstenebene; sehr hoher jährlicher Bevölkerungszuwachs (etwa 2,3%). Anteil der Stadtbewohner 19%.

Natur: Oberfläche. Etwa zwei Drittel des Landes werden von Gebirgen eingenommen, die im Norden 3142 m (Phan Si Pan) und im Bereich der Kordillere von Truong Son über 2000 m erreichen. Nach Süden zu flacht sich dieser Gebirgszug ab und bildet zum Teil breite, rumpfflächenartige Plateaus und Hochflächen. Entlang der 3260 km langen Küste, der zahlreiche Inseln vorgelagert sind, erstreckt sich ein schmaler Tieflandstreifen. Fruchtbare Schwemmlandebenen wurden im Norden durch Ablagerungen des Roten Flusses (Delta: 22000 km2) und im Süden durch den Mekong (zum Teil versumpftes Delta mit 70000 km2) aufgebaut.

Klima: Tropisches Monsunklima (Regenzeit von März bis September bringt 80% des Jahresniederschlags) mit nach Norden abnehmenden Temperaturen; jährliche mittlere Luftfeuchtigkeit 81%. Der Norden liegt im Einzugsgebiet tropischer Wirbelstürme (Taifune). Gewässer. Zahlreiche Flüsse (Rater Fluss im Norden und Mekong im S) weisen schwankende Wasserführung beziehungsweise jährliches Hochwasser auf. Pflanzen- und Tierwelt. In den Gebirgen immergrüner tropischer Regenwald (tropische Edelhölzer), an der Küste Mangrovendickichte. Die Fauna umfasst unter anderem Elefant, Nashorn, Tiger, Bär, Krokodil, Wildschwein und verschiedene Affenarten. Starke Schädigung der natürlichen Vegetation (40% der ehemaligen Waldbestände) und Tierwelt während der US-amerikanischen Aggression durch chemische Kampfstoffe und Flächenbombardierung, besonders im Süden auf weiten Flächen.

Geschichte: Im seit dem Paläolithikum besiedelten Norden Vietnams entstanden mit den Reichen Van Lang (2. und 1. Jahrtausend vor Christus) und Au Lac (257/208 vor Christus) erste Staaten, doch wurde dieses Gebiet 207 v. Chr. von der chinesischen Han-Dynastie annektiert. Nach vielen Aufständen, zum Beispiel unter den Schwestern Trung 39/43 nach Christus, gewann der Norden Vietnams 939 unter Ngo Quyen (939/44) die staatliche Unabhängigkeit von China zurück. In der Folgezeit erstarkte die feudale Zentralgewalt und erreichte im 15. Jahrhundert unter der 2. Dynastie der Le ihre Blüte, doch musste sich Vietnam besonders 1388 und 1407/27 gegen neuerliche chinesische Invasionen wehren. Die gleichzeitig einsetzende feudale Expansion auf Kosten der stündlichen Nachbarn (Champa und östliche Gebiete des Khmer Reiches) fand erst im 4./18. Jahrhundert mit Erreichung etwa des heutigen Territoriums Vietnams ein Ende. Die feudale Zentralgewalt wurde im 16. Jahrhundert durch die faktische Herrschaft der Adelsfamilien Trinh im Norden und Nguyen im Süden geschwächt. europäischen Kaufleute und Missionare, zunächst Niederländer und Portugiesen, seit Ende des 5. Jahrhundert besonders Franzosen, nutzten die Situation und fassten in Vietnam Fuß. Innere Machtkämpfe und wachsende feudale Unterdrückung führten zu zahlreichen Aufständen, von denen der bedeutendste 1771/78 die Tay-Son- (Westgebirge-) Erhebung unter Führung dreier Brüder war. Sie beseitigten die Macht der Adelsfamilien Trinh und Nguyen sowie die nominell herrschende Le-Dynastie, schlugen chinesische Invasoren zurück; einer von ihnen wurde unter dem Namen Quang Trung neuer Herrscher (1778/92). Ein Vertreter der Adelsfamilie Nguyen nutzte jedoch die Schwäche der Nachfolger Quang Trungs, die dessen Reformpläne nicht realisieren konnten und die Massenbasis verloren. 1802 ergriff er mit französischer Unterstützung die Macht und gründete als Kaiser Gia Long die Nguyen-Dynastie.

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert begann Frankreich, Vietnam in eine Kolonie zu verwandeln. 1858 erfolgte die erste militärische Provokation durch den Überfall auf Tourane (Da Nang). Vietnam wurde zur Öffnung von Häfen sowie zum Abtreten von Provinzen gezwungen, und bereits 1867 war ganz Nambo französische Kolonie. Danach wurde das Gebiet um Hanoi angegriffen und ganz Bacbo 1882/84 besetzt. Der starke Volkswiderstand blieb ohne nennenswerte Unterstützung durch den vietnamesischen Kaiserhof in Hue. Zentralvietnam (1 Trungbo) wurde bald ebenfalls okkupiert und 1887 mit den anderen Landesteilen, mit Kampuchea und seit 1893 auch mit Laos zur kolonialen Zwangsunion Französisch-lndochina zusammengeschlossen. Die einheimischen Herrscher bezahlten ihre Kapitulationspolitik mit der Einbuße ihrer faktische Macht. Die Widerstandsbewegung gegen die französischen Okkupanten, zum Beispiel der Aufstand des De Tham 1893/1913, konnte jedoch nicht siegen, da sie unkoordiniert war und noch keine über eine Restauration der Feudalstrukturen hinausreichende Perspektive hatte. Die französische Kolonialherrschaft führte zu deformierten kapitalistischen Verhältnissen, da die entstehende Industrie sich auf Ausplünderung von Rohstoffvorkommen konzentrierte. Auf dem Lande blieben rückständige vorkapitalistische Verhältnisse bestehen, die durch Pachtsystem und vom Großgrundbesitzer abhängige Kleinbauernwirtschaften gekennzeichnet waren; zum Teil breitete sich Plantagenwirtschaft (Kautschuk) aus. Damit verbunden, kam es Anfang des 20. Jahrhundert zur Herausbildung eines Industrieproletariats, einer einheimischen Bourgeoisie und kleinbürgerliche Kreise, Quellen einer neuen Opposition, die besonders von vietnamesischen Emigranten in Südchina unterstützt und geleitet wurde. 1926 entstand die bürgerliche Vietnamesische Nationalpartei. 1929 kam es in der Nachfolge der 1925 auf Initiative von Ho Chi Minh geschaffenen Liga der revolutionären Jugend Vietnams zur Formierung kommunistischer Gruppierungen, die sich 1930 zur KP Vietnams zusammenschlossen. Im gleichen Jahr kam es zu spontanen Bauernaufständen, in deren Folge unter Führung der KP Räteverwaltungen in den Provinzen Nghe An und Ha Tinh entstanden. Die französischen Kolonialisten schlugen diese Erhebung wie auch Aufstandsversuche der kleinbürgerlichen Opposition (Aufstand von Yen Bai) blutig nieder. Sie konnten aber die Weiterentwicklung der KP nicht verhindern, die 1936 die durch die französische Volksfrontregierung gegebene Möglichkeit einer legalen Betätigung kurz nutzen konnte.

Im 2. Weltkrieg kam es 1941 zum Zusammenschluss aller demokratischen Kräfte unter Führung der KP in der Befreiungsfront Viet Minh, die sich gegen die profaschistische französische Kolonialverwaltung und die von dieser ins Land gelassenen japanischen Truppen richtete. 1944 wurde die Vietnamesische Volksarmee gegründet. Unter Nutzung der bei Kriegsende geschwächten Position Frankreichs und Japans in Indochina begannen die Volkskräfte am 16.8.1945 einen allgemeinen Volksaufstand («Augustrevolution»). Nach dessen Sieg rief Ho Chi Minh am 2. 9.1945 die Demokratische Republik Vietnam aus, zu deren erstem Präsidenten er gewählt wurde. Frankreich versuchte durch diplomatische Winkelzüge und militärische Gewalt, Vietnam wieder zur Kolonie zu machen und begann am 19.12.1946 den offenen Krieg. Ab 1950 gewann die Vietnamesische Volksarmee die Oberhand und erzielte im Mai 1954 mit dem Sieg von Dien Bien Phu die militärische Entscheidung.

Literatur: Aus der Zeit bis zum 13. Jahrhundert sind nur mündlich überlieferte Werke in Vietnamesisch bekannt, da das Chinesische als Literatursprache fungierte. Im 14./15. Jahrhundert entwickelte sich die vietnamesische Nationalliteratur bedeutend, wobei Nguyen Trai eine besondere Rolle zukommt. Mit dem Verfall der feudalistischen Staatsmacht ging ein Absinken der Literatur auf konventionelle Stimmungslyrik einher. Das 18. Jahrhundert brachte wieder bedeutende Werke, wie das «Klagelied einer Kriegerfrau» der Dichterin Doan Thi Diem und die satirischen Verse der Dichterin Ho Xuan Huong. Höhepunkt der klassischen vietnamesischen Literatur ist der Versroman «Kim Van Kieu» von Nguyen Du. Patriotischer Lyrik des Widerstandes gegen die französischen Kolonialisten verfasste Phan Dinh Phung und ¡später Phan Boi Chau. Bis Ende des 19. Jahrhundert gab es in Vietnam Belletristik nur in Versform. Unter europäischen Einfluss entstand nun auch Prosa, wobei zunächst neoromantische Züge vorherrschten. Die Klassenauseinandersetzungen der 30er Jahre des 20. Jahrhundert ließen den kritischen Realismus reifen (Vu Trong Phung: «Dirnenleben», «Sturm») und den sozialistischen Realismus entstehen (Nguyen Hong: «Die Diebin»), der dann die Thematik des militärischen Widerstandskampfes gegen die Franzosen aufgriff. Zu den Autoren dieser Richtung aus der heutigen älteren Generation gehören der Dichter To Huu, der Prosaist Nam Cao («Die Augen») und Nguyen Van Bong («Der Wasserbüffel). Generalsekretär des 1957 gegründeten vietnamesischen Schriftstellerverbandes wurde Nguyen Dinh Thi, Präsident Nguyen Cong Hoan. Der sich nun voll entfaltenden sozialistischen Realismus schildert die gesellschaftliche Umgestaltung, wobei Autoren der nächsten Generation, wie Dao Vu («Der gepflasterte Hof»), hervortraten. Der lange Kampf um die Befreiung Südvietnams und gegen die USA-Aggressoren spiegelt sich in den Werken von Nguyen Dinh Thi («Feuerprobe»), Nguyen Khai wie auch solcher jungen Schriftsteller wider, die, wie Le Minh Khue, der auch Fernsehautor ist, zum Teil selbst aktiv kämpften. Die große Zahl von nationalen Minderheiten in Vietnam bedeutete für die sozialistische Literaturentwicklung nicht nur eine thematische Erweiterung, sondern auch die Aufgabe, die entsprechenden Literaturen zu fördern. Mit dem Nationalitätenthema befassten sich To Hoai («Das Ehepaar A-Phu») und Nguyen Ngoc («Die Feuer der Bana»).

Musik: Die ältesten belegbaren Musikinstrumente in Vietnam sind steinzeitliche Lithophone sowie bronzezeitlichen Kesselgongs und Glocken. Die Musik vietnamesischer Feudalreiche war am chinesischen (6. Jahrhundert) und japanischen Hof (8. Jahrhundert) bekannt. «Große» und «kleine Musik» (letztere ursprünglich Volksmusik) werden im 13./14. Jahrhundert als höfliches Ensemble genannt. Im 15. Jahrhundert gab es 8 Arten höflicher Musik für Zeremonien und zur Unterhaltung mit spezifischen Instrumentarium und Repertoire. Die Ensembles am Hof benutzten im 20. Jahrhundert Klingsteine, Klingsteinspiele, Glocken, Glockenspiele, Wölbbrettzithern, Instrumente vietnamesischer, chinesischer und indischer Herkunft. Die Volksmusik der verschiedenen Nationalitäten Vietnams umfasst unter anderem Singspiel, Tanz, Lied (zum Beispiel Liebeslied als Wechselgesang), Instrumentalmusik. Seit 1945 wird das musikkulturelle Erbe im sozialistischen Staat entwickelt, Ensembles, Solisten auf Volksmusikinstrumenten werden gefordert. Als neue Gattungen entstehen Massenlieder, Chöre, Sinfonien, Tänze und Musiktheater (1965 erste vietnamesische Oper). Im Widerstand gegen die US-amerikanischer Aggression war das revolutionäre Lied ein wesentlicher, die Kampfmoral der vietnamesischen Nation stärkender Faktor.

Vietnamesen, Selbstbezeichnung Viel: mongolides Volk mit isoliert dastehender Sprache; früher Annamiten genannt; Hauptbevölkerung Vietnams; etwa 53 Millionen, in Kampuchea und Thailand etwa 500000.

Vietnamesische Sprache und Schrift: Strukturell den sinotibetischen Sprachen ähnelnd, weist das Vietnamesische wie das Chinesische das monosyllabischen Kernwortprinzip auf, wobei jedoch jede Silbe einen bedeutungsverändernden musikalischer Akzent trägt (Grundton und 5 Akzentvarianten). Heute wird das Vietnamesische mit einer im 16. Jahrhundert von Missionaren entwickelte Lateinschrift geschrieben, welche auch die Akzente berücksichtigt und die alten, der chinesischen Schrift ähnelnden Silbenzeichen (Chu nom) völlig verdrängt hat.