Theater

Theater: grundlegender und ältester Teilbereich der darstellenden Künste. entsprechend der historisch gewachsenen gesellschaftlichen Funktion, künstlerische Spezifikation und institutionellen Struktur des Theaters umfasst der Begriff das Theater als künstlerisch-kommunikativen Prozess, als Institution und als Gebäude.

Der künstlerisch-kommunikative Prozess spielt sich in der unmittelbaren Wechselbeziehung zwischen Darstellern (Schauspielern, Sängern, Tänzern, Pantomimen, Puppenspielern) und Zuschauern ab. Die Theateraufführung ist das Zusammentreffen eines theatralischen-spielerischen Angebots mit (historisch und sozial determinierten) Erwartungshaltungen des Publikums, aus dem (heitere, provokative, erschütternde beziehungsweise belehrende) Unterhaltung entsteht. Die (räumlich und zeitlich) gemeinsame Anwesenheit und gegenseitige Beeinflussung von Kunstproduzenten und -rezipienten macht also (im Unterschied zu anderen Künsten) Wesen und besondere gesellschaftliche Wirksamkeit der Theaterkunst aus. Im theatralischen Spiel werden Ereignisse und Beziehungen zwischen Menschen dargestellt; die Themen können mythischen oder phantastischen Ursprungs sein oder aus der Geschichte beziehungsweise der zeitgenössischen Realität stammen; Grundlage ist der (meist literarisch fixierte) dramatische Text, der entweder für die jeweilige Aufführung geschaffen oder aktuell angeeignet wird. Die Darstellungsweise ist traditions- und gegenstandsbezogen sehr variabel; sie kann auf Parabolik (poetische und artistische Überhöhung) oder größtmögliche Wirklichkeitsnähe (psychologische Durchdringung der Figuren, Realismus des Details unter anderem) orientiert sein. Der theatralische Schaffensprozess ist kollektiv; in seinem Zentrum stehen die Darsteller, die mit mimischen, gestorben, tänzerischen, sprachlichen, gesanglichen und anderen Ausdrucksmitteln theatralischen Spiel hervorbringen, unterstützt von tangierenden Künsten, wie Bühnenraum-, Kostüm- und Maskengestaltung, Musik und so weiter; der Prozess der Erarbeitung einer Aufführung wird entscheidend geprägt durch ihren Leiter, den Regisseur. Die Institution Theater umfasst Struktur, Organisation, und Funktionsweise des Theaterwesens, deren konkrete Erscheinungsformen von der jeweiligen Gesellschaftsordnung abhängen. In der sozialistischen Gesellschaft existieren ausschließlich staatliche und städtliche Theater, die als Zentren in das geistig-kulturelle Leben der Territorien integriert sind und aus dem Staatshaushalt subventioniert werden. entsprechend der historisch entstandenen Spezialisierung in der Theaterkunst wirken die künstlerischen Mitarbeiter in Sparten beziehungsweise Ensembles (Schauspiel, Oper, Operette, Ballett, Pantomime, Puppentheater). Wichtige Abteilungen des Theaters sind weiter die Dramaturgie und die Besucherabteilung, die Kollektivkörper (Orchester, Chor, Ballett), die Bühnentechnik, Beleuchtung und Tontechnik, der Komplex der Werkstätten (zur Dekorations-, Requisiten- und Kostümherstellung), die Maskenbildnerei unter anderem Leiter ist der Intendant beziehungsweise Generalintendant, dem die Direktoren beziehungsweise Leiter der Sparten und Abteilungen unterstehen. Nach einem langfristig konzipierten Spielplan werden in den Sparten unter Leitung des Regisseurs künstlerische Produktionen (Inszenierungen) einstudiert und ins Repertoire aufgenommen. Das Theater als Gebäude wird verstanden als funktionales Zentrum des Theaterwesens und als baukünstlerisches Werk; siehe auch Theaterbau.

Geschichtliches: Ältestes Ausdrucksmittel des Theater ist der pantomimischer Tanz. Bereits in der Urgesellschaft gab es theatralische Darstellungen, die, als Bestandteil magisch-totemistische Riten oder als Teil verschiedener religiöser Kulte, den Bedürfnissen der Gemeinschaft unmittelbaren Ausdruck verliehen. Solche Tanzpantomimen wurden grundlegend für die Entwicklung des asiatischen Theater in seiner Einheit von Tanz, Pantomime, Musik und Gesang sowie des vielfältigen Gebrauchs von Masken; die Blütezeit der klassischen asiatischen Theaterkulturen war die Feudalepoche (etwa 6./18. Jahrhundert). Von weittragender Bedeutung für die Entwicklung des europäischen Theater wurde das im 6. Jahrhundert vor Christus sich herausbildende antike Theater Griechenlands, das seinen Höhepunkt in den Aufführungen der Werke von Äschylus, Sophokles, Euripides und Aristophanes erlangte. Unter seinem Einfluss entwickelte sich das Theater des römischen Imperiums, dessen Auflösung zum Zerfall der antiken Theaterkultur und für mehrere Jahrhunderte des europäischen Theater überhaupt führte. Etwa seit dem 10. Jahrhundert nach Christus entstanden, aus dem Gottesdienst hervorgehend und von der Kirche ideell und organisatorisch getragen, geistlichen Spiele (geistliches Drama), die im späten Mittelalter mit der Entstehung der Städte und des Bürgertums verweltlichten und als Mysterienspiele auf städtlichen Marktplätzen unter anderem Volksfestcharakter annahmen; daneben (und zum Teil in Wechselbeziehung mit den geistlichen Spielen) entwickelten sich aus Volksbräuchen und -Überlieferungen weltlicher Theaterformen wie Frühlings- und Fastnachtsspiele, Farcen und Sottisen (Narrenspiele). In der Renaissance wurde das theatralische Erbe der Antike neu erschlossen, und in der Verbindung von humanistischen Weltbild, volkstümlichen Traditionen und wachsendem Nationalbewusstsein entstanden die Anfänge großer Nationaltheaterkulturen, besonders in Italien (Commedia dell’arte), England (W. Shakespeare), Spanien (L. F. de Vega Carpio, P. Calderon de la Barca) und im 17. Jahrhundert auch im absolutistischen Frankreich (P. Corneille, J. Racine, Molière). Es entwickelte sich eine berufsmäßige Schauspielkunst; mit Oper und Ballett entstanden spezielle Genres des Theater; in der Entwicklung der Kulissenbühne und des Theaterbaus kam ein neues, von den antiken und mittelalterlichen Formen grundsätzlich verschiedenes kommunikatives Verhältnis zwischen Theaterspiel und Publikum zum Ausdruck. Im Zeitalter des Absolutismus wurde das vorrangig höflichen Theaters immer deutlicher Ausdruck feudal-hierarchische Ideologie und Mittel höfliche Repräsentation oder Instrument der katholischen Gegenreformation; im Volke verwurzelte Theaterformen wurden immer mehr verdrängt. Neue Impulse empfing das Theater im 18. Jahrhundert durch die vorrevolutionären bürgerlichen Ideen der Aufklärung; eine neue Dramatik entstand (bürgerliches Trauerspiel). Erst jetzt entwickelte sich in Deutschland eine nationale Dramatik (G. E. Lessing, J. W. Goethe, F. Schiller) sowie eine realistische Schauspielkunst (C. Ekhof, F. L. Schröder). Im 19. Jahrhundert führten die Preisgabe der progressiv-humanistischen Positionen der bürgerlichen Aufstiegsphase durch die etablierte Bourgeoisie und die zunehmende Herabwürdigung des Theater zum kapitalistischen Unternehmen zum Verfall der realistischen Theaterkunst in den westeuropäischen Ländern, während das russische Theater in dieser Zeit eine große realistischen Tradition begründete und in den unterdrückten Nationen Ost- und Südeuropas sich Anfänge einer nationalen Theaterkunst entwickelten. Die Verschärfung gesellschaftlicher Widersprüche Ende des 19. Jahrhundert trug zur Entstehung einer bedeutenden kritisch-realistischen Dramatik (H. Ibsen, G. Hauptmann, G. B. Shaw, A. P. Tschechow) und zu Theaterkonzeptionen bei, die gegen Kommerzialismus und künstlerische Verflachung gerichtet waren (A. Antoine, O. Brahm, K. S. Stanislawski); bedeutende Regisseure (Stanislawski, M. Reinhardt, J. Copeau) wurden die entscheidenden Schöpfer.

Kräfte der Theaterarbeit. Die allgemeine Krise des Kapitalismus brachte einerseits immer neue Spielarten der Dekadenz hervor, andererseits aber auch immer neue Ansätze zur Durchsetzung von Volkstheaterkonzeptionen (J. Vilar, J. Littlewood, G. Strehler) und zur Nutzung des Theater als Instrument im Klassenkampf (E. Piscator, B. Brecht in den 20er/30er Jahren; Teile der Gruppentheaterbewegung seit den 60er Jahren).

In den Ländern Asiens wirken die zum Teil hochentwickelten alten Theaterkulturen mit eigenständigen Theaterformen weiter, zum Beispiel die Pekingoper in China, das No (höflich-aristokratisches Drama) und das Kabuki (volkstümliches Drama) in Japan, das Kathakali (Tanzpantomime) in Indien, das Wajang (Schattenspiel) in Indonesien. Daneben entstanden nach dem Vorbild des europäischen Geschäftstheaters (zum Teil getragen von der Schicht der Kolonialherren) im 19. Jahrhundert in den Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas neuere Theaterformen. besonders nach dem 2. Weltkrieg entwickelten sich dann in den jungen Nationalstaaten auf der Grundlage nationaler Traditionen eigenständige Theaterkulturen.

Dem internationalen Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des Theaterwesens dienen das 1948 gegründete Internationale Theater-Institut und seit 1954 das Festival Théâtre des Nations.

Theater am Geländer, tschechisch Divadlo Na zabradli: 1958 in Prag gegründetes experimentelles Theater, in dem mit einem Pantomimen-Ensemble (Leitung Ladislav Fialka) und einem Schauspielensemble (Leitung Evald Schorm) ungewohnt theatralische Ausdrucksmittel erprobt werden; durch Gastspiele international bekannt.

Theater der Grausamkeit, Théâtre de la cruauté: irrationalistische Richtung im spätbürgerlichen Theater (unter künstlerische Berufung auf A. Artaud); in den 60er und 70er Jahren besonders in Westeuropa und den USA verbreitet, will durch Ritual und Schock «befreiende» Wirkungen auf das Publikum erzielen.

Theater des Absurden: Richtung des Theaters und der Dramatik in imperialistischen Ländern in den 50er und Anfang der 60er Jahre; ausgehend von der existentialistischen Philosophie, wird menschliches Leben als absurd dargestellt; der Untergang der antagonistischen Klassengesellschaft wird unhistorisch als Endzeit der Menschheit gedeutet; wichtige Vertreter: A. Adamov, S. Beckett, E. Ionesco, J. Genet.

Theaterglas, Opernglas: Fernrohr mit höhen- und seitenrichtigem Bild sowie schwacher Vergrößerung (im Allgemeinen 2- bis 5fach); meist ein binokulares Galileisches Fernrohr, manchmal ein Prismenfernrohr.

Theater im palast, Abkürzung tip: 1976 von V. Oelschlegel (Intendantin) gegründetes Theater im Palast der Republik in Berlin; kommunikatives Theater mit variablem Raum, das insbesondere Veranstaltungen zu Dramatik, (Welt-) Literatur sowie Musik (besonders zeitgenössische) bietet, auch Ausstellungen zu Malerei und bildender Kunst.

Theaterkritik: Beschreibung und Wertung von Theaterkunst in der Tages- und Fachpresse und in den anderen Massenmedien. Mit der Entwicklung des Journalismus gibt es Anfänge der Theaterkritik im 18. Jahrhundert; ihre spezifische Ausprägung erfolgte im 19. Jahrhundert (in Deutschland zum Beispiel L. Tieck, Theaterkritik Fontane, F. Mehring). Wahrend vor allem in den englischsprachigen Ländern die aufführungsorientierte Tageskritik überwiegt und großen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg von Aufführungen hat, herrschen traditionell in den deutschsprachigen Ländern wissenschaftliche, feuilletonistische und literarischer Tendenzen in der Theaterkritik (zum Beispiel bei S. Jacobsohn, A. Kerr, H. Jhering, A. Polgar) vor. In der sozialistischen Gesellschaft kommt der Theaterkritik große Bedeutung bei der Förderung neuer Werke und Tendenzen und der Entwicklung der «Zuschaukunst» (B. Brecht) zu.

Theaterwissenschaft: kunstwissenschaftliche Disziplin, deren Gegenstand Theorie und Geschichte des Theaters in der Einheit von Drama, Bühnenkunst und Kommunikationsprozess ist. Obwohl theatertheoretisches Denken bis in die Antike zurückreicht, konstituierte sich die Theaterwissenschaft, ausgehend von der Literaturwissenschaft, erst Ende des 19. Jahrhundert als Wissenschafts- und Universitätsdisziplin. Zu den Wegbereitern der deutschen Theaterwissenschaft gehören M. Herrmann und A. Kutscher.

Théâtre des Nations, französisch, Theater der Nationen. 1954 gegründetes Theaterfestival, das unter Schirmherrschaft des Internationalen Theater-Instituts bis 1972 jährlich in Paris hervorragende Leistungen des Welttheaters vorstellte; ab 1975 in Theatermetropolen verschiedener Länder weitergeführt.

Théâtre National Populaire, (französisch «Nationales Volks theater») französisch, Abkürzung TNP: 1920 von F. Gémier in Paris gegründetes erstes staatliches Volkstheater in Frankreich. Unter Leitung von J. Vilar (1951/63) gewann das TNP durch volkstümlichen Inszenierungen und ein fortschrittliches Repertoire Massenbasis unter den Pariser Werktätigen; seit 1972 wirkt es unter Leitung von R. Planchon und P. Chereau als nationales Tourneetheater mit Sitz in Lyon. Durch zahlreiche Gastspiele wurde das TNP international bekannt.

Theatre Workshop: (englisch, «Werkstatt-Theater») 1945 in Northumberland gegründetes, seit 1953 in London wirkendes Volkstheater, das in den 50er und 60er Jahren unter Leitung von J. Littlewood internationalen Ruhm errang. Es erwarb sich große Verdienste um die Entwicklung der Ensemblekunst, die Förderung fortschrittlicher Autoren (E. MacColl, B. Behan, S. Delaney) und die Gewinnung von Arbeiterpublikum.