Sorben

Sorben, früher auch Wenden: westslawisches Volk in der Lausitz; noch etwa 100000 mit Kenntnissen der sorbischen Sprache; seit 1947 mit weitgehender kultureller Autonomie. Die westslawischen Stammesgruppe der Sorben ist seit 631/32 im Gebiet zwischen Saale und B6br/ Kwisa nachweisbar. Sie setzte sich aus zahlreichen Einzelstämmen zusammen, die im Westteil dieses Gebiets unter dem Sammelnamen Sorben vorwiegend kleinräumige Siedlungsgebiete, im zentralen und östlichen Teil dagegen unter gesonderten Stammesnamen größere Gebietskomplexe bewohnten (die Daleminzen das Gebiet um Meißen und Lommatzsch, die Nisaner um Dresden und Pirna, die Milzener die Oberlausitz und die Lusizer die Niederlausitz). Die westlichen Sorben waren zeitweise bereits dem fränkischen Großreich tributpflichtig; auch das Großmährische Reich umfasste um 890 Teile der Sorben, die aber 897 von Arnulf von Kärnten zur Huldigung gezwungen wurden. Die eigentliche Unterwerfung der Sorben erfolgte während der ersten Etappe der feudalen Ostexpansion (10. Jahrhundert) durch Heinrich I. und Markgraf Gero im Auftrag Ottos I. Die Bistümer Meißen, Merseburg und Zeitz/Naumburg dienten der Verbreitung und Festigung des Christentums bei den Sorben Nach Geros Tod (965) bildeten die Gebiete der Daleminzen und Nisaner die Mark Meißen, der die Milzener tributpflichtig wurden, das Gebiet der Lusizer die sächsische Ostmark (später Mark Lausitz). 1018/32 gehörten die Milzener und Lusizer zum polnischen Feudalstaat. Seit Beginn des 12. Jahrhundert wurden die westelbische Gebiete der Sorben immer mehr mit deutschen Bauern und Bürgern besiedelt, die mit den Sorben verschmolzen. Das sorbische Sprachgebiet beschränkte sich um 1500 auf die damals böhmischen Markgrafschaften Ober- und Niederlausitz und einige nördlich und westlich angrenzender Gebiete. Siehe auch sorbische Literatur, sorbische Musik.

Sorbisch: eine westslawische Sprache; wird von einem Teil der nationalen Minderheit der Sorben neben der deutschen Sprache gesprochen. Historisch bedingt entwickelten sich nach dem 16. Jahrhundert 2 Schriftsprachen: das Obersorbisch in der Oberlausitz aus dem Bautzen für Dialekt und das Niedersorbisch in der Niederlausitz aus dem Dialekt um Cottbus.

Sorbische Literatur: Ältestes erhaltenes Schriftdenkmal ist ein Bautzener Bürgereid (um 1500). Die sorbische Literatur (Ober- und Niedersorbisch) entwickelte sich zunächst unter dem Einfluss der Reformation. Allerdings blieben die meisten Werke ungedruckt (unter anderem M. Richters Taufagende, 1545, und M. Jakubicas Übersetzung des Neuen Testaments, 1548) und darum von nur lokaler Bedeutung. Als erster Druck erschien 1574 Katechismus und Gesangbuch des A. Mollerus (in Niedersorbisch). Das Schrifttum vom 16. bis Mitte des 18. Jahrhundert beschränkte sich auf Texte rechtlichen Inhalts, einige linguistischen Arbeiten und vor allem religiöse Literatur. Belletristische Werke wurden von sorbischer Verfassern in lateinischer oder deutscher Sprache abgefasst, da sie nur so Aussicht auf Drucklegung hatten, zum Beispiel die «Hungaridos libri poematum V» (1599; Fünf Bücher Ungarngedichte) des J. Bok (Bocatius) oder die sozialkritische «Erbärmliche Klage der lieben Frau Gerste ...» (1609) des H. Tara. Seit der Wende zum 18. Jahrhundert wuchs unter dem Einfluss von Pietismus und Aufklärung die Produktion sorbischer Drucke, wenn auch regional beschränkt, da gleichzeitig im überwiegenden Teil des Sprachgebietes rigorose behördliche Maßnahmen zur gänzliche Abschaffung des Sorbischen eingeleitet worden waren. Mit der Übersetzung beziehungsweise Bearbeitung und Drucklegung des Neuen Testaments legten M. Frencel und J. B. Fabricius den Grundstein für die Entwicklung der überlokalen ober- beziehungsweise niedersorbischer Schrift- und Literatursprache. Wichtige Wörterbücher, Sprachlehren und historischen Abhandlungen wurden geschrieben. Zu den ersten weltlichen Dichtungen gehört J. Mjens «Hymnus zum Lobe der sorbischen Sprache» (1757). Unter dem Einfluss der Franzos. Revolution entstanden Anfänge eines sorbischen Pressewesens, das in der 1. Hälfte des 19 Jahrhundert in J. Dejka seinen ersten bedeutenden Vertreter fand. Bürgerliche Reformen und die Romantik förderten die sorbische nationale Wiedergeburt. Die patriotische Intelligenz vereinigte sich in der wissenschaftlich-kulturellen Gesellschaft «Maeica Serbska» (1845/47). Zentrale Persönlichkeit war J. A. Smoler, der auch sorbische Volkslieder sammelte. Bedeutendster Dichter der Romantik war H. Zejler, daneben J. Wjela-Radyserb. Verstärkte Unterdrückung nach der Reichsgründung 1871 rief die betont nationale, oft auch kritisch-realistische Dichtung der «Jungsorben» hervor. Ihr hervorragendster Repräsentant war J. Bart-Cisinski; zu den herausragenden Persönlichkeiten gehörte auch der Wissenschaftler A. Muka. Führende Vertreter der niedersorbischen Literatur jener Zeit waren J. Surowin, M. Kosyk und F. Rocha. Um die Jahrhundertwende nahm die sorbische Kunstprosa mit M. Andricki einen beachtlichen Aufschwung. J. Nowak war der Dichter der nationalen Bewegung nach dem 1. Weltkrieg. Mit J. Skala und J. Lorenc-Zaleski setzte sich (wenn auch unter politischen Zwang in symbolistische Verkleidung) der kritische Realismus in der sorbischen Prosa durch. Beliebtheit erfreute sich das umfangreiche literarische Schaffen von O. Wieaz. Dank seiner Förderung erreichte die sorbische Lyrik mit J. Lajnert einen neuerlichen Höhepunkt. Die Arbeiterdichterinnen M. Witkojc und M. Domaskojc forderten die literarische Entwicklung in der Niederlausitz seither maßgebend. Über die Zeit der faschistischen Unterdrückung hinweg, gegen die in ihrer (illegalen) Lyrik Stellung bezogen (seit 1937 war jegliches sorbisches Wort verboten), wahrten B. Swjela, J. Wjela, M. Nowak-Njechornski unter anderem die Kontinuität der demokratischen sorbischen Literatur.

Sorbische Musik: Die sorbische Volksmusik ist mit der westslawischen Musikkultur verwandt. Archäologische Funde und Berichte verschiedener Chronisten zeugen von einer spezifischen Musikausübung, unter anderem wenn von «wind. Scheltliedern» oder «wendische Musikanten» die Rede ist. Als traditionelle Volksmusikinstrumente gelten Dudelsack, Schalmei und kleine Fiedeln. Die ältesten Sammlungen dieser Musik sind das Krahlsche Geigenspielbuch (etwa 1750) und die von J. A Smoler 1841/43 herausgegebenen «Volkslieder der Ober- und Niederlausitzer Sorben». Die sorbische Kunstmusik konnte sich, parallel zur Entwicklung eines nationalen Musiklebens, erst nach der Entfeudalisierung in Preußen (1807) und Sachsen (1832) allmählich herausbilden. Ihr Begründer ist K. A. Kocor, der als Initiator und Dirigent der 1845 eröffneten Tradition sorbische Gesangsfeste mit volkstümlichen Liedern und mit Oratorien die sorbische Musik bis in die Gegenwart mitbestimmt hat. Das Wirken des Komponisten B. Krawc (Schneider) reicht bis in die Zeit des Neuaufbaus nach 1945. Auch Krawc stützte sich im Wesentlichen auf die Chöre und schrieb für sie zahlreiche Vokalwerke. Das Musikleben der Gegenwart wird unter anderem repräsentiert durch J. Winar, J. Raupp, J. Bulank, J. P. Nagel. Seit 1951 besteht das Staatlichen Ensemble für sorbische Volkskultur, das Deutsch-Sorbische Volkstheater in Bautzen trägt wesentlich zur Pflege der sorbische Musik (und Sprache) bei.