Norwegen

Norwegen, Königreich Norwegen, norwegische Kurzform Norge: Staat im Norden Europas, an der Westseite der Halbinsel Skandinavien; grenzt im Westen an den Atlantik, im Nordosten an die Sowjetunion und Finnland, im Osten an Schweden; in 19 Provinzen (Fylker) gegliedert; zu Norwegen gehören außerdem in der Arktis die Inselgruppe Svalbard und die Insel Jan Mayen, in der Antarktis die Bouvet- und die Peter-I.-Insel. Währung ist die norwegische Krone.

Bevölkerung: Sie setzt sich zu 98 % aus Norwegern zusammen; Minderheiten sind etwa 20000 Lappen (Samen) und etwa 7000 Kwanen (finnischsprachige Norweger). Der Norden (Finnmark) ist sehr dünn besiedelt, der Südosten dagegen mit den Provinzen Oslo und Akershus (ein Fünftel der Bevölkerung des Landes) verhältnismäßig dicht. Die Hälfte der Einwohner lebt in städtlichen Siedlungen. Die Konzentration in größeren Dörfern und Städten schreitet fort, da viele Kleinstsiedlungen wegen mangelnder Erwerbsmöglichkeiten verlassen werden. Amtssprache ist Norwegisch.

Natur: Oberfläche. Norwegen umfasst große Teile des kaledonisch gefalteten und gehobenen Skandinavischen Gebirges. Es besteht aus alten Sedimentgesteinen, die von Ergussgesteinen (Granite, Gneise) durchsetzt sind. Die heutigen Großformen entstanden während und nach dem Tertiär, die Mittel- und Kleinformen unter anderem durch die Abtragungsprozesse der Eiszeit. Das Kerngebiet Norwegens weist öde Hochflächen (Fjelle, Vidda) mit Durchschnittshöhen um 1000 m über dem Meeresspiegel und einer Ausdehnung bis zu 12000 km2 (Hardangervidda) auf, die durch tiefe Täler getrennt und zum Teil vergletschert sind (größter Gletscher ist der Jostedalsbreen, 486 km2). Der Gebirgsstock Jotunheimen mit den höchsten Bergen Norwegens, Glittertind (2 472 m) und Galdhopiggen (2469 m), hat alpinen Charakter. Das Skandinavische Gebirge fällt zum Meer steil ab, die Küste ist durch Fjorde sowie Schären geprägt und bietet knappen Siedlungsraum. Wichtigste der Küste vorgelagerte Inselgruppe sind die Lofoten. Das Klima der Küstenregion ist maritim und weist durch den Einfluss des Golfstroms viel höhere Wintertemperaturen (zwischen 0 und -3 °C) auf, als sie für diese Breitenlage typisch sind. Die Sommertemperaturen liegen zwischen 13 und 17 °C. Im Innern sind bei gemäßigt kontinentalem Klima die Winter kälter und die Sommer wärmer. An der Küste fallen bis zu 4000 mm Niederschlag im Jahr, im Innern zwischen 300 und 600 mm. Die Gebiete nördlich des Polarkreises liegen im Sommer im Bereich der Mitternachtssonne. Gewässer. Die Flüsse sind meist kurz und haben starkes Gefälle (Wasserfälle). Längster Fluss ist der Glomma mit 598 km; größter See ist der Mjösasee mit 368km2 Pflanzen- und Tierwelt. Die natürliche Vegetation ist der Wald (auf 25% der Landesfläche; zu 90% Nadel-, nur im Süden Laub- und Mischwald); im Norden und im Hochgebirge Tundra. An Tieren sind Rotwild, Elch, Ren, Luchs, Lemming, Hase, Schneehuhn und vereinzelt auch der Bär anzutreffen.

Geschichte: In der Frühgeschichte besiedelten germanische Stämme das Land. Durch Harald I. Härfagre erfolgte um 872 die erste Vereinigung der Kleinkönigreiche. Bis ins 11. Jahrhundert unternahmen die Normannen ausgedehnte Raub- und Handelszüge, die sie bis nach Island, Grönland, an die nordamerikanische Küste, nach Westfrankreich und bis ins Mittelmeer führten. Um 1000 wurde das Christentum durch Olav I. Tryggvason eingeführt. Unter Hakon V. Hakonsson (1217/63) erfolgte die innenpolitische Festigung und es begann die Feudalisierung; Grönland und Island wurden angegliedert (1261/64). Im 13./14. Jahrhundert erlebte Norwegen eine kulturelle Blüte (höfliche Dichtung, Geschichtsschreibung, Sagas). 1319/43 war Norwegen in Personalunion mit Schweden verbunden, seit 1380 mit Dänemark und ab 1397 in die Kalmarer Union einbezogen. Die Aufhebung der norwegischen Selbstverwaltung (1537) und die Einführung der Reformation stärkten die dänische Stellung im Lande. Das Dänische wurde Amts- und Literatursprache. In den schwedisch-dänischen Kämpfen um die Vorherrschaft im Ostseeraum vom 16. bis 18. Jahrhundert war Norwegen häufig Kriegsschauplatz und musste Gebietsverluste hinnehmen. Mit dem Niedergang der Hanse gewann die dänisch-norwegische Kaufmannschaft und Schifffahrt an Bedeutung. Die Bauern waren im Gegensatz zu den dänischen persönlich frei, litten aber unter den Steuerlasten. Durch Aufstände suchten sie ihre Lage zu verbessern. Als Folge der napoleonischen Kriege musste Dänemark im Frieden von Kiel 1814 Norwegen an Schweden abtreten (ohne Island, die Färöer und Grönland). Norwegen blieb jedoch selbständig (Eidsvoll Verfassung) und nur durch Personalunion mit Schweden verbunden. Es entwickelte sich eine nationale und liberale Bewegung. Auswirkungen des sich durchsetzenden Kapitalismus waren unter anderem die Einführung der Gewerbefreiheit (1839 und 1843), der Bau der ersten Eisenbahnlinie und die Erweiterung der Flotte. Mit der fortschreitenden Industrialisierung entstand eine Arbeiterklasse (Bildung von Arbeitervereinen); unter der Bauernschaft begann eine stärkere Differenzierung. Die Proletarisierung von Teilen der Bauernschaft und das Vorgehen gegen die Arbeiterbewegung führten zu einer verstärkten Auswanderung nach Nordamerika. 1887 wurde die Norwegische Arbeiterpartei gegründet, nachdem sich 1884 die liberale Venstre und die konservative Hoyre als Parteien konstituiert hatten. 1905 löste Norwegen die Union mit Schweden und erlangte die volle Souveränität. Die Arbeiterbewegung erstarkte und gewann wachsenden Einfluss. 1923 gründete der linke Flügel der Arbeiterpartei die kommunistische Partei. 1920 erhielt Norwegen vom Völkerbund die Souveränität über das an Kohlevorkommen reiche Svalbard zugesprochen (Spitzbergenvertrag). Der Konflikt 1931/32 mit Dänemark wegen der Besetzung der Ostküste Grönlands wurde 1933 zugunsten Dänemarks entschieden. Am 9.4.1940 überfielen und besetzten faschistische deutsche Truppen Norwegen Am 25.9.1940 wurde ein faschistisches Besatzungsregime errichtet (Verbot aller Parteien außer der faschistischen Nasjonal Sämling), am 1.2.1942 wurde V. Quisling Ministerpräsident einer Marionettenregierung. Der König und die verfassungsmäßige Regierung setzten seit 1940 von London aus den Widerstand fort. Unter Führung der Arbeiterparteien entstand eine breite Widerstandsbewegung gegen die Okkupanten. Am 8.5.1945 kapitulierten die faschistischen Truppen, nachdem bereits im Oktober 1944 das nördliche Norwegen durch die Rote Armee befreit worden war. 1949 trat Norwegen der NATO bei, lehnte aber die Stationierung ausländischer Streitkräfte und von Kernwaffen auf seinem Gebiet ab. Seit 1960 ist Norwegen Mitglied der EFTA, ein Anschluss an die EWG scheiterte 1972 an einer Volksabstimmung. 1945/81 (mit Unterbrechungen 1965/71 und 1973) regierte die Norwegische Arbeiterpartei (norwegische Abkürzung DNA), 1981/86 die konservative Hoyre, die ab 1983 mit der Christi. Volkspartei und Zentrumspartei eine Koalitionsregierung bildete; nach deren vorzeitigem Rücktritt beauftragte König Olav V. die Vorsitzende der DNA, Gro Harlem Brundtland, mit der Regierungsbildung. Norwegen lehnt eine Beteiligung an der von den USA betriebenen Weltraummilitarisierung ab.

Kunst: Bis ins 11. Jahrhundert stand die norwegische Kunst unter dem Einfluss der germanischen Kunst. Die Übernahme des Christentums brachte den Anschluss an die allgemeine europäische Entwicklung. In der Architektur trägt die seit Mitte 12. Jahrhundert stärker hervortretende Steinbauweise besonders kirchliche Bauten (Dom zu Stavanger, 12. /13. Jahrhundert, und Dom zu Trondheim, 1152/14. Jahrhundert) anglonormannische Züge. Wichtigster Profanbau dieser Zeit ist die Hakonshalle in Bergen (1261 vollendet). Außerhalb der großen Städte dominiert weiter die Holzbauweise (Bauernhäuser im Blockbau; Kirchen als Mast- oder Stabbau: Kirchen von Umes, um 1060/12. Jahrhundert, und Borgund, um 1150) oft mit reicher Schnitzerei in bäuerlichen Motiven. Durch Verlust der Eigenstaatlichkeit im 14./19. Jahrhundert fehlte es in dieser Zeit an bedeutenden Bauaufgaben. Zahlreiche norwegische Künstler arbeiteten im Ausland, während in Norwegen selbst Ausländer die wenigen künstlerischen Aufgaben lösten. Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert entwickelte sich die Architektur bis zur Gegenwart im Zusammenhang mit den anderen nordischen Ländern, sachlich und zweckbestimmt. Plastik. Die mittelalterliche Steinplastik entwickelte sich besonders in der Trondheimer Hütte. Bedeutend war auch die romanische und gotische Holzbildnerei. Außerdem ist der Import von geschnitzten und gemalten Flügelaltären aus Norddeutschland (zum Beispiel Lübeck) und den Niederlanden bestimmend. Im Ringen um nationale Selbständigkeit fand das nationale bildnerische Schaffen vor allem in der Volkskunst seinen Niederschlag. Die neuere Plastik seit dem späten 19. Jahrhundert wird durch I. Middelthum, S. Sinding und G. Vigeland vertreten. Malerei. Die eigentlichen Leistungen der norwegischen Kunst liegen auf dem Gebiet der Malerei. Abgesehen von mittelalterlichen sakralen Monumentalmalereien und einer hochentwickelten Buchmalerei der Schulen von Bergen, Oslo und Trondheim setzt die Entwicklung auch hier erst im 19. Jahrhundert mit der wachsenden nationalen Unabhängigkeitsbewegung ein. Im Zusammenhang damit steht die Entdeckung der norwegischen Landschaft. Begründer einer nationalen Malerei ist J. C. C. Dahl, der die heimatliche Landschaft darstellte und der romantischen Auffassung C. D. Friedrichs stark verwandt war. Wie er studierten und arbeiteten bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhundert die meisten Maler im Ausland (Dresden, Düsseldorf, München, Paris) und erhielten dort entscheidende Anregungen. Der verstärkt einsetzende Kampf um nationale Unabhängigkeit in den 80er Jahren des 19. Jahrhundert bewog viele Künstler zur Rückkehr nach Norwegen Mit E. Munch, dem Wegbereiter des Expressionismus, erhielt die norwegische Malerei europäischen Bedeutung. Die Malerei der Gegenwart kennt sowohl die realistische (R. Aulie, K. Fjell, E. Johnson unter anderem) als auch die zum Abstraktionismus tendierenden Strömungen (A. Ekeland). Die Volkskunst leistete Hervorragendes in der Holzbearbeitung, auch in der Bildweberei, Teppichwirkerei und in der Stickerei.

Literatur: Zu den ältesten überlieferten Zeugnissen der norwegischen Literatur gehören Runeninschriften. Auf dem Eggja Stein (etwa 7. Jahrhundert) in West-Norwegen ist die längste Inschrift der älteren Runenreihe bewahrt. Die von Isländern aufgezeichnete Skaldendichtung (13. und 14. Jahrhundert) hat ihren Ursprung in Norwegen, wo sie zwischen 850 und 1150 eine Blütezeit erlebte. Wichtigste Prosawerke der mittelalterlichen Dichtung sind der «Königsspiegel» (um 1250, deutsch), ein anonymes höfliches Lehrbuch, und «Das Traumgedicht» (um 1300, deutsch), eine sozial-utopische Visionsdichtung. Seit der Personalunion zwischen Dänemark und Norwegen (1380) wurde die norwegische Sprache zugunsten der dänischen zurückgedrängt. Norwegisch lebte jedoch in der mündlich überlieferten Volksdichtung weiter. P. Dass schrieb um 1700 lebensvolle Versdichtung über Nord-Norwegen. Mit L. Holberg entstand eine bürgerliche Nationalliteratur auf der Grundlage der dänischen Schriftsprache. Nationale Tendenzen verstärkten sich gegen Ende des 18. Jahrhundert bei C. B. Tullin und J. Brun. 1772 wurde in Kopenhagen die «Norwegische Gesellschaft» gebildet, in der der Satiriker J. H. Wessel führend war. Nach der Befreiung Norwegens vom dänischen Feudalabsolutismus und der Einführung einer bürgerlichen Verfassung (1814) gruppierten sich progressive Dichter um H. Wergeland, den Hauptvertreter der romantischen aufklärerischen Literatur. Um die Mitte des 19. Jahrhundert sammelten P. C. Asbjornsen und J. Moe Volksmärchen und -sagen, M. B. Landstad Volkslieder. L. Aasen wirkte mit sprachwissenschaftlichen Arbeiten für die neunorwegische Schriftsprache, das Nynorsk. Realistische Züge zeigten sich im Werk von C. Collett. Der Weltruhm der norwegischen Literatur gründet sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert auf das Schaffen der «Vier Großen» (H. Ibsen, B. Björnson, A. Kielland und J. Lie). In kritisch-realistischen Dramen und Romanen leiteten sie eine schonungslose Kritik am Kapitalismus ein. Mit dem Werk von P. Sivle rückte um 1890 die Arbeiterklasse ins Blickfeld progressiver Autoren. Die soziale Anklage dominierte im gleichen Zeitraum bei naturalistischen Autoren wie A. Garborg und A. Skram. Vertreter der Neuromantik waren um die Jahrhundertwende S. Obstfelder und T. Krag. Antidemokratische Züge traten bei K. Hamsun auf, der später dem Faschismus verfiel. Bedeutende Erzähler des 20. Jahrhundert sind S. Undset, 0. Duun, J. Falkberget und K. Uppdal. Sie bevorzugten historische oder soziale Themen und gestalteten zum Teil eindrucksvoll das Leben der Arbeiterklasse. Die proletarisch-revolutionäre Literatur begann in der Lyrik (R. Torgeirson, T. Auerdahl) und fand ihren ersten Höhepunkt im Schaffen von R. Nilsen. Norwegen Grieg entwickelte sich in den 30er Jahren zum Vertreter des sozialistischen Realismus. Nach 1945 wurde die Auseinandersetzung mit Krieg, Faschismus und Okkupation bedeutsames Thema, unter anderem für 0. Bolstad, T. Nedreaas, J. Bjorneboe, S. Hoel und S. Holmebakk. Die bürgerlich-humanistischen Literatur setzen T. Vesaas und J.Borgen fort. In der Gegenwartsliteratur werden Widersprüche des Kapitalismus kritisch reflektiert unter anderem von E. Hoem und K. Flogstad.

Musik: Infolge der jahrhundertelangen staatlichen Union mit Dänemark gab es keine Entwicklungsbedingungen für eine eigene feudal-aristokrat Musik. Auch liturgische Musik ist kaum aufgezeichnet. Träger der Musikkultur waren bis ins 17. Jahrhundert fast ausschließlich freie Bauern. Die von ihnen gepflegte Volksmusik ist reich entwickelt und gut überliefert (Wiegen- und Scherzlieder, Heldengesänge, Tanzweisen, die auf der Hardangerfiedel musiziert wurden). Die städtliche Musikentwicklung lag im 17./18. Jahrhundert in den Händen von Ausländern. Eine eigenständige nationale Kunstmusik entwickelte sich seit dem Beginn des 19. Jahrhundert; sie entstand in steter Auseinandersetzung mit der Volksmusik. Die bedeutendsten Komponisten mit internationaler Wirkung sind E. Grieg, J. S. Svendsen, C. Sinding; ihren Rang hat im 20. Jahrhundert noch kein norwegischer Komponist wieder erreicht. Grieg gründete 1871 die Musikgesellschaft Musikforeningen, die noch heute als Filharmonisk Selskap besteht und ein ausgezeichnetes Orchester besitzt. Nach einem kurzzeitigen Versuch 1918/21 gibt es erst seit 1958 eine selbständige norwegische Opernbühne in Oslo. In Oslo und Bergen finden jetzt jährlich internationale Festspiele statt; hier gibt es auch Musikhochschulen. In Trondheim befindet sich ein bemerkenswertes Musikinstrumentenmuseum.

Norwegische Sprachen: die in Norwegen seit 1885 gesetzlich gleichberechtigten Sprachen,

a) Bokmal («Buchsprache»; auch Riksmal, «Reichssprache»), ein der norwegischen Artikulation angeglichenes und mit norwegischen Wörtern aufgefülltes Dänisch (letzteres seit Ende des 14. Jahrhundert offizielle Sprache (Kalmarer Union)), von 80 % der Norweger verwendet;

b) Nynorsk («Neunorwegisch»; auch Landsmal, «Landessprache»), eine von Ivo Aasen (1813-1896) um 1850 auf der Grundlage westneunorwegische Mundarten und des Altnorwegischen entwickelte Schriftsprache. Siehe auch nordische Sprachen.