Neukantianismus

Neukantianismus: einflussreiche, in verschiedene Richtungen gegliederte Strömung der deutschen spätbürgerlichen Philosophie der 2. Hälfte des 19. und des beginnenden 20. Jahrhundert; entwickelte sich besonders in den 70er Jahren des 19. Jahrhundert als ideologische Reaktion der Bourgeoisie auf den wachsenden Einfluss der Lehren von K. Marx und F. Engels in der Arbeiterbewegung und als Versuch, neue Erkenntnisse der Naturwissenschaften durch Rückgriff auf die Philosophie I. Kants zur Bewältigung der Krise der bürgerlichen Philosophie zu nutzen. Der Neukantianismus suchte mit erkenntniskritischen und wissenschaftstheoretischen Schriften den philosophischen Materialismus zu bekämpfen, die Entwicklung der Naturwissenschaften jedoch nicht zu behindern. Er orientierte sich an den subjektividealistischen und agnostizistischen Momenten der Kantschen Philosophie und bekämpfte den Materialismus in Kants Denken (Ding an sich). Im Bereich der Gesellschaftswissenschaften wendete sich der Neukantianismus gegen den historischen Materialismus und dessen Gesetzesbegriff. Zu seinen frühen Vertretern zählt F. A. Lange. Seine bedeutendsten Zentren sind die Marburger Schule (H. Cohen, P. Natorp, E. Cassirer) und die Südwestdeutsche (Freiburger) Schule (W. Windelband, H. Rickert). Während sich die Marburger Schule vorrangig auf logische und erkenntnistheoretische Probleme konzentrierte, beschäftigte sich die Südwestdeutsche Schule vor allem mit ethischen, ästhetischen und philosophie-historischen Fragen (Wert- und Sollensproblematik). In der Arbeiterbewegung wirkte der Neukantianismus über den Revisionismus insbesondere E. Bernsteins und M. Adlers.