Mittellatein

Mittellatein, eigentlich mittelalterliches Latein: die lateinische Sprache während des Mittelalters (6. Jahrhundert bis zur Renaissance). Das Mittellatein diente der gesamten abendländischen Welt als Verkehrssprache, wurde in den Klosterschulen erlernt und in allen Bereichen der Kirche, Verwaltung und Diplomatie sowie der Universitäten gesprochen. Es entwickelte durch Wortneubildung, Bedeutungswandel und syntaktische Veränderung vielfaltige, den neuen gesellschaftliche Inhalten entsprechende Formen. Mit dem Rückgriff auf die klassische Sprachform brachten die Humanisten die rund tausendjährige Sprachentwicklung des Mittellateins zum Stillstand.

Mittellateinische Literatur: die über fast ganz Europa verbreitete lateinische Literatur des Mittelalters (6. Jahrhundert bis Renaissance). Das Mittellatein brachte eine sehr umfangreiche und vielfältige, mit selbständiger sprachschöpferischer Lebenskraft begabte Literatur hervor, die im Verlaufe des Mittelalters in fast ganz Europa verbreitet war. Ausgangspunkt und Vorbild war die antik-lateinische Literatur (besonders der Spätantike), deren literarisches Erbe in den traditionellen Formen weiterhin gepflegt wurde, zugleich aber neue gesellschaftlichen Inhalte (Feudalismus, Kirche) erhielt; diese riefen wiederum mannigfache literarische Neuschöpfungen hervor (Sequenz und Tropus, rhythmische Dichtung und Reim, geistliches Drama und Tierepos und so weiter). Die mittellateinische Literatur weist viele Werke von hohem literarischem Rang auf, in denen sich antike und mittelalterliche Wesenszüge zu einem neuen Ganzen verbinden. Die Geschichtsschreibung umfasste Kloster-, Bistums-, Völker-, Reichs- und Zeitgeschichte und gipfelte in der geschichtsphilosophische Weltchronik (Otto von Freising). Die Biographie führte Einhard zu frühem Höhepunkt. Anekdoten- und sagenhafte Stoffe und Sammlungen unhistorischer weltlicher Geschichten (Gesta Romanorum) wie religiöser Legenden gewannen weite Verbreitung. Die wissenschaftliche Fachliteratur trug vorwiegend enzyklopädischen Charakter. Unendlich groß ist die Fülle der exegetisch-theologische Traktate, in deren Mittelpunkt die (lateinische) Bibel (Vulgata) steht, sowie der christlichen Predigten und philosophische Schriften (Scholastik, Mystik), vielgestaltig auch die Briefliteratur. Reich ausgebildet war die mittellateinische Dichtung; Hrotsvit von Gandersheim vertrat das Drama, zu dem die mittelalterlichen Spiele eine eigenständige Parallele bildeten (Ludus de Antichristo). Neben geistlich erzählender Dichtung stand das weltliche Epos (Waltharilied) mit Tierdichtung (Ecbasis captivi, Ysengrimus) und der Versroman (Ruodlieb). Die Lyrik entfaltete sich im weltlichen wie geistlichen Gewand als Vagantendichtung (Carmina Burana) und religiöse Hymnik (Mariendichtung); Lehrgedicht, Spruch-, Scherz-, Rätselgedichte, Märchenepen und poetische Fabeln sowie vielfältige Gelegenheitsgedichte zu verschiedensten aktuellen Anlässen privater und politischer Art waren vertreten. Die mittellateinische Literatur hat mannigfaltig und nachhaltig auf die volkssprachlichen Literaturen Europas eingewirkt,

Mittellateinische Philologie: Wissenschaft von der lateinischen Sprache, Literatur und Kultur des Mittelalters; um 1900 als selbständige Disziplin entstanden.