Klassizismus

Klassizismus: antikisierende Stilrichtung, die sich meist entschieden an die klassische griechische und römische Kunst und Literatur anlehnt. Ansätze dazu gab es in fast allen späteren Stilepochen, besonders in der Renaissance, wo der Klassizismus programmatische Bedeutung erlangte. Das aufstrebende Bürgertum entwickelte nach antikem Vorbild eine neue enge Beziehung zur Wirklichkeit und zum Menschen. Eine Leistung des Klassizismus bestand auch in der Förderung des nationalen Gedankens und der nationalen Literatursprachen. Die Kunstwissenschaft verwendet die Bezeichnung K für

a) eine Mitte des 16. Jahrhundert in Oberitalien einsetzende Strömung der europäischen Architektur, hauptsächlich in der Fassadengestaltung, die nach ihrem Urheber A. Palladio auch Palladianische Klassizismus genannt wird. Allg. Merkmale sind klar und streng gegliederte Fassaden und sparsam eingesetzte Bauplastik. Der Palladianische Klassizismus ist im 17. Jahrhundert vorwiegend in England, Frankreich und Holland wirksam und wird von der ökonomisch erstarkten bürgerlichen Schicht in der Periode des Absolutismus getragen,

b) eine Stilstufe der europäischen Kunst in all ihren Erscheinungsformen von etwa 1770 bis 1830, mitunter auch Neu- oder Neoklassizismus genannt. Modifiziert nach der gesellschaftlichen Situation in den einzelnen Ländern, wurde der Klassizismus wirksam als Ausdrucksträger der bürgerlich-revolutionären Bewegungen seiner Zeit in der Reaktion gegen die den Barock tragenden kirchlichen und weltliche Kräfte des Absolutismus. Das allgemeine Verlangen nach Beruhigung und Klärung der Formen, wie sie das Vorbild der Antike bot, wurde gefördert durch archäologische Funde in Italien (Pompeji), dem eigentlichen Ursprungsland des Klassizismus Über Anregungen aus Frankreich, wo die politische Verhältnisse seine Bestrebungen unterstützten, über die Niederlande und teilweise auch Großbritannien kam er nach Deutschland; hier wirkten J. J. Winckelmann und G. E. Lessing als seine theoretischen Wegbereiter. Eine qualitätvolle Variante des Klassizismus in eigenständiger Umformung entstand auch auf russischen Boden. Die Architektur des Klassizismus übernahm zwar die charakteristischen Elemente der antiken Baukunst (Säulen, Dreiecksgiebel, Halbkreisbögen und Tonnenwölbung), verarbeitete sie aber zu einer neuen organisch gefügten Einheit, fern bloßer Nachahmung. Jedes Bauwerk ist im Ganzen wie in seinen Teilen ein in sich ruhender Körper; die Dekoration ist maßvoll und streng symmetrisch. Neben Kirchen und Schlösser treten durch die neuen Bedürfnisse des Bürgertums als neue Bauaufgaben Theater, Verwaltungsbauten, Schulen und Museen; Veränderungen ergeben sich im Städte- (Stadtprojekte, -Planungen) und Ingenieurbau (Verwendung neuer Materialien, typisierende Elemente). Die bedeutendsten Baumeister sind in Deutschland F. Schinkel, in Frankreich J. G. Soufflot, in Großbritannien die Brüder R. und J. Adam und in Russland G. Quarenghi. Im Mittelpunkt der antike Themen bevorzugenden Malerei und Plastik steht die menschliche Gestalt. Der Prototyp der Plastik wurde von A. Canova und B. Thorvaldsen geschaffen, die zu ihrer Zeit europäische Geltung besaßen. Wichtigstes Kompositionselement der klassizistischen Malerei ist die Linie. Die Gemälde zeigen kühle Farbgebung bei trockener Malweise; ihre Komposition ist klar und streng, oft relief- oder friesartig. Unter dem Einfluss der Ideen Winckelmanns bekannte sich A. R. Mengs mit dem Deckengemälde «Der Parnaß» (Rom, Villa Albani; 1761) als einer der ersten zur klassizistischen Doktrin. Das Programm zur klassizistischen Malerei gab der Franzose J. L. David in seinem Gemälde «Schwur der Horatier», 1784. Es ist ein Zeugnis der Parteinahme eines Künstlers für den revolutionären Kampf des französischen Bürgertums.