Harn

Harn, Urin: von der Niere gebildete Flüssigkeit mit variablem Gehalt organischer und anorganischer Substanzen. Durch die Harnbildung und -ausscheidung werden der Salz- und Wasserhaushalt des Organismus (Volumen und Osmolarität des Blutes) sowie das Säuren-Basen-Gleichgewicht (pH-Wert) des Blutes reguliert. Zusätzlich werden Endprodukte des Stoffwechsels (zum Beispiel Harnstoff, Harnsäure), Minerale und körperfremde Stoffe mit dem Harn ausgeschieden. Die Harnbildung wird durch differenzierte Kontrollsysteme gesteuert, so dass wichtige Größen des inneren Milieus konstant gehalten werden (Isotonie, Isohydrie).

Harnblase, Vesica urinaria: häutig-muskulöses Hohlorgan als Sammelbehälter für den von den Nieren ausgeschiedenen und durch die Harnleiter zugeleiteten Harn der meisten Wirbeltiere und des Menschen. Bei der menschlichen Harnblase werden Harnblasenscheitel, Harnblasenkörper und Harnblasengrund unterschieden. Das Fassungsvermögen beträgt 300 bis 400 ml Harn. Nach Erschlaffung des willkürlichen und des unwillkürlichen Schließmuskels erfolgt die Entleerung (Miktion) durch die Harnröhre.

Harnröhre, Urethra: Ausführungsgang der Harnblase beim Menschen und den Säugetieren. Beim Mann nach Einmündung der Samenleiter als Harnsamenleiter bezeichnet; er durchzieht den Penis und mündet an dessen Spitze aus. Die Harnröhre der Frau mündet in den Scheidenvorhof, sie ist nur 3 bis 5 cm lang.

Harnröhrenentzündung, Urethritis: Entzündung der Harnröhrenschleimhaut (vorwiegend beim Mann); verursacht durch verschiedene Bakterien, Trichomonaden (Geißeltierchen) und Pilze.

Harnsäure: farblose, geruch- und geschmackfreie, kristalline, wenig wasserlösliche Substanz. Harnsäure ist das Endprodukt des Eiweißstoffwechsels von Vögeln und Reptilien und ist im Guano zu 90 % enthalten. Bei Gicht lagern sich Salze der Harnsäure (Urate) in den Gelenken ab.

Harninkontinenz: Unvermögen, den Harn willkürlich zurückzuhalten; bei Schwäche des Schließmuskels, Rückenmarkerkrankung, Blasenentzündung, Tumoren der Harnblase und gynäkologisch bedingter Harnblasensenkung auftretend.

Harninfektion: durch bakterielle Entzündung bedingte Harnveränderung. Bei stärkerer Entzündung der Harnwege erfolgt Beimischung von Eiweiß, weißen und roten Blutzellen sowie Bakterien.

Harngrieß, Harnsand: kleine und kleinste aus den Harnwegen ausgeschiedene Harnsteine, die sich als sogenannt Ziegelmehlsediment bei Harnsäuresteindiathese in kaltem Harn absetzen können.

Harnflut, Polyurie: Ausscheiden abnormer Harnmengen (bis zu 201 täglich); Vorkommen besonders bei Diabetes insipidus (Diabetes 1), aber auch bei jugendlichen Wassersacknieren, nach Harnvergiftungen und bei Ausschwemmung von Wasseransammlungen im Gewebe (Ödeme).

Harnsediment: Bodensatz des frisch gelassenen und 5 min zentrifugierten Harns; im Mikroskop betrachtet, wichtige Hinweise zum Erkennen von Nieren- und Blasenkrankheiten. Nichtorganische Bestandteile sind Salze, die kristallin im Harn ausfallen. Organ., aber im Harn des Gesunden nicht oder kaum enthaltene Bestandteile sind Epithelien, weiße und rote Blutzellen und Harnzylinder, letztere sind Ausgüsse der Harnkanälchen, die sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammensetzen, zum Beispiel aus reinem Eiweiß, Epithelien, Blutzellen, Hämoglobin.

Harnsperre: plötzliches Versiegen der Harnausscheidung durch mechanischen Verschluss (Steine, Verengung, Geschwülste) der oberen ableitenden Harnwege.

Harnstauungsniere: erhebliche Erweiterung des Nierenbecken-Kelch-Hohlraumsystems auf Grund einer Harnabflussstörung aus der Niere; führt zum Untergang des funktionstüchtigen Nierengewebes. Ursachen können Missbildungen sowie akute und chion. Verlegungen des Harnleiters und des Blasenhalses sein, zum Beispiel durch Steine, Tumoren und entzündliche Prozesse aller Art.

Harnsteine, Nierensteine: vorwiegend in den Nieren entstehende steinartige Gebilde, die bei chronischen Entzündungen oder bei Stoffwechselstörungen auftreten und aus unlöslichen Harnsalzen, wie Uraten, Oxalaten, Phosphaten, Zystin, Xanthin oder Carbonaten, bestehen. Diese Konkremente können sandkorn- bis apfelgroß sein. Je nach Sitz unterscheidet man Nierenkelch-, Nierenbecken-, Harnleiter-, Blasen- und Harnröhrensteine.

Harnsteinleiden, Urolithiasis: durch Auskristallisation von Salzen im Harn hervorgerufene Erkrankung; sie macht sich meist durch eine Nierenkolik oder eine Hämaturie bemerkbar. Siehe auch Harnsteine.

Harnstoff, Karbamid (Kurzwort für Carbon + Amid): färb- und geruchlose, kristalline, wasserlöslicher Substanz; F 132,7 °C. Harnstoff reagiert in Lösung neutral, bildet jedoch mit starken Säuren Salze. Harnstoff ist das hauptsächliche Endprodukt des Eiweißstoffwechsels bei Mensch und Säugetier; ein Erwachsener sondert täglich etwa 30 g ab. Technisch gewinnt man Harnstoff aus Ammoniak und Kohlendioxid bei 185 °C und 20 MPa und verwendet ihn als Düngemittel und Futterzusatz für Wiederkäuer sowie zur Herstellung von Leimen, Dicyandiamid, Melamin und pharmazeutischen Produkten. Harnstoff wurde 1773 durch G. F. Rouelle im Harn entdeckt und 1828 von F. Wöhler durch Umlagerung von Ammoniumcyanat künstlich dargestellt.

Harnstoffharze, Zeichen UF: durch Polykondensation zwischen Harnstoff und Formaldehyd hergestellte Kunststoffe. Als Zwischenstufen entstehen niedrigmolekulare, wasserlösliche und schmelzbare Vorkondensate, die bei weiterer Wärmeeinwirkung duroplastisch aushärten. Die Vorkondensate werden als Kleb- und Bindemittel (K-Leime) insbesondere für Holz, mit Butanol modifiziert als Lackharze und im Gemisch mit Zellulose oder Holzmehl als Pressmassen verwendet; auch Hartschaumstoffe (Piatherm) werden hergestellt.

Harnstoffzyklus, Ornithinzyklus, Krebs-Henseleit-Zyklus: Syntheseweg von Harnstoff aus Ammoniak, Kohlendioxid und der Aminogruppe der Asparaginsäure. Der Harnstoffzyklus findet in der Leber statt und dient der Entgiftung des Ammoniaks.

Harnsystem: Gesamtheit der den Harn bildenden und ableitenden Organe (Niere, Harnleiter, Harnblase, Harnröhre).

Harnträufeln: tropfenweiser unwillkürlicher Harnabgang. Ursächlich kommen Blasenentzündungen und Schließmuskelschwäche, eventuell mit Blasensenkung bei der Frau (Zystozele), aber auch Erkrankungen des Nervensystems in Betracht. Siehe auch Harninkontinenz.

Harntreibende Mittel, Diuretika: teils durch direkte Wirkung auf die Nieren, teils durch Anregung des Kreislaufsystems wirkende Stoffe, die krankhaft bedingte Flüssigkeitsansammlungen im Organismus durch vermehrte Harnausscheidung beseitigen. Stoffe, die die Wasserausschwemmung vorwiegend über vermehrte Salzausscheidung bewirken, nennt man Saluretika.

Harnvergiftung, Urämie: stets mit akutem oder chronischem Nierenversagen verbundene Anreicherung stickstoffhaltiger Stoffwechselabbauprodukte im Blut. Die Harnvergiftung bewirkt eine Erhöhung des Reststickstoffs, des Harnstoffs und des Kreatinins im Blut sowie eine zunehmende Übersäuerung in Blut und Gewebe. Symptome der Harnvergiftung sind unter anderem quälender Durst, Erbrechen, Benommenheit bis zur Bewusstlosigkeit mit Krampfanfällen.

Harnverhaltung: akute oder chronischen Behinderung oder Aufhebung der Harnentleerung aus der Harnblase, zum Beispiel bei Vergrößerung der Prostata oder bei narbigen Verengungen der Harnröhre (Harnröhrenstriktur). Siehe auch Anurie.

Harnzucker: Auftreten von Zucker, meist Glukose, im Harn; siehe auch Glukosurie.