Germanen

Germanen: der indoeuropäischen Sprachgemeinschaft angehörende große Stammes- und Sprachgruppe, die sich zu Beginn der Eisenzeit aus den bronzezeitlichen Stämmen unterschiedlicher ethnischer Herkunft in den südlichen Gebieten Skandinaviens sowie südwestlich und westlich der Ostsee herausbildete. Überlieferungen antiker Autoren und archäologische Denkmäler zu Beginn unserer Zeit verdeutlichen 3 Gruppierungen, die Nordgermanen (skandinavische Stämme, aus denen später Dänen, Schweden, Norweger, Isländer hervorgingen), die Ostgermanen (Goten, Wandalen, Burgunden, Rugier, Gepiden unter anderem) und die Westgermanen (elbgermanische Stämme: Sueben, Markomannen, Quaden, Hermunduren, Semnonen und Langobarden; nordseegermanische Stämme: Chauken, Angeln, Warnen, Friesen und Sachsen; rheinwesergermanische Stämme: Bataver, Brukterer, Chamaven, Chattuarier, Chatten, Ubier, Tenkterer sowie zeitweilig Cherusker und Angrivarier). Bei Ausdehnung ihres Siedlungsgebietes verdrängten die Germanen die Kelten nach Süden und Westen, gegen Ende des 2. Jahrhundert vor Christus stießen sie mit dem römischen Sklavenhalterstaat zusammen (Kimbern und Teutonen). Nach dem Vordringen der Römer bis zur Elbe wurden diese 9 nach Christus im Teutoburger Wald geschlagen (Arminius) und an Rhein und Donau zurückgedrängt (Anlage des römischen Limes). In der Frühzeit waren die Germanen in Gentes organisiert, trieben Viehzucht und Ackerbau. Den urgesellschaftlichen Verhältnissen entsprach die Religion, ein patriarchalisches Polytheismus (Naturkräfte, Jahreszeiten, gesellschaftliche Einrichtungen des Stammes und der Sippe wurden personifiziert und symbolisiert); bald entstand eine umfangreiche Mythologie. Durch Fortschritte in der Landwirtschaft und der Eisenmetallurgie bildete sich bis zum 1. Jahrhundert vor Christus bei den Germanen auf der Grundlage der fortschreitenden sozialen Differenzierung die Gesellschaftsverfassung der militärischen Demokratie heraus; eine Aristokratie entstand, die sich mit Gefolgschaften umgab. Die Sippengemeinschaften begannen sich in patriarchalischen Hausgenossenschaften (Großfamilien) aufzulösen, die Einzelfamilien wurden selbständiger. Aus den mächtigsten Sippen entwickelten sich die Königsgeschlechter der einzelnen Stämme, in den ersten Jahrhunderten nach Christus setzten im Osten größere germanische Wanderungen ein (Wandalen, Goten, später Burgunden). Im 3. und 4. Jahrhundert erfolgte im Westen die Integration zahlreicher Einzelstämme zu großen Stammesverbänden (Alemannen, Franken, Sachsen unter anderem). Mit dem Einbruch der Hunnen in Europa (375) wurde die Völkerwanderung und damit ein verstärkter Ansturm der germanischen Stämme auf das römische Imperium ausgelöst. Es entstanden verschiedene germanische Staaten auf römischen Boden; siehe auch Völkerwanderung.

Germanenrechte, germanische Volksrechte, Leges Barbarorum: die im 5./9. Jahrhundert aufgezeichneten ältesten Gewohnheitsrechte der germanischen Stämme. Die Germanenrechte wurden zum größten Teil in lateinischer Sprache aufgezeichnet und enthalten Strafbestimmungen über alle Rechtsverletzungen.

Germanische Dichtung: Die germanische Dichtung ist großenteils nur mittelbar überliefert durch römische Autoren (Cäsar, Tacitus), spätlateinischer Geschichtsschreiber und volkskundliche Zeugnisse. In der ursprünglichen Form teilweise erhalten ist das Hildebrandslied (als einziges germanisches Heldenlied); weitere umgeformte germanische Lieder und Sprüche finden sich in der Edda. Außer Heldenliedern umfasste die germanische Dichtung mythologische Kultdichtungen, Toten-, Kampf- und Preisgesänge, Opfer- und Zaubersprüche (Merseburger Zaubersprüche) sowie Rätsel; charakteristisch für ihre Form sind stabreimende Langverse mit 2 Halbzeilen.

Germanische Kunst: In den ersten Jahrhunderten nach Christus formte sich bei den Germanen ein eigener Zierstil aus, der zunächst besonders die Kleinkunst des Goldschmiedehandwerks prägte, vor allem Filigran, Granulation, Ziselierung. Seit dem 4. Jahrhundert wurde von den Goten am Schwarzen Meer unter anderem das Zellenwerk mit farbigen Steineinlagen übernommen. Typisch für den germanischen Schmuck der Völkerwanderungszeit waren Kerbschnitt-Technik und der «farbige Stil». Seit dem 6. Jahrhundert treten stilisierte Tierornamentik und Flechtbandmuster auf. Erste bildliche Darstellungen in der Kleinkunst (Reiterscheiben, Bildsteine) kommen vor. Um 800 ging die germanische Kunst in Mitteleuropa in die karolingischen Kunst über, doch der Tierstil lebte in Skandinavien noch lange in der Wikingerkunst fort (Bildsteine, Holzschnitzereien).

Germanische Religion und Mythologie: Zentrum der Religion war der Kult, das heißt die von einer Gemeinschaft getragene Verehrung göttlicher Wesen, während die (oft dichterisch geprägten) Vorstellungen von Göttern und mythische Wesen (Riesen, Zwergen unter anderem) sowie deren Schicksal ins Gebiet der Mythologie gehören. Die Grenzen zwischen Religion und Mythologie lassen sich nicht immer scharf ziehen (Existenz von Kultmythen). Nur wenige Götter waren gemeingermanisch, zum Beispiel Wodan/Odin, Donar/Thor, Freia/Frigg, über die Religion und Mythologie der Westgermanen ist wenig bekannt; in Nordeuropa sind Hauptquellen die Skaldendichtung und die Edda. Der Isländer Snorri Sturluson (13. Jahrhundert) hat 200 Jahre nach Einführung des Christentums ein ganzes System der nordgermanischen Mythologie aufgestellt, das von der Entstehung der Welt bis zu ihrem Untergang und ihrer Erneuerung reicht.

Germanisches Nationalmuseum: 1852 in Nürnberg gegründet Museum mit bedeutenden Sammlungen zur deutschen Kunst und Kultur von der Frühzeit bis zur Mitte des 19. Jahrhundert. Es enthält Gemälde, Plastik, Graphik, Kunstgewerbe, Volkskunst und Volkskunde, eine Bibliothek und ein Archiv.

Germanische Sprachen: zu den indoeuropäischen Sprachen zählende Sprachfamilie, entstanden bis um 500 vor Christus durch die erste (oder germanische) Lautverschiebung und Festlegung des Akzents auf die erste Silbe. Die germanischen Sprachen gliedern sich in Ostgermanisch (Gotisch, Wandalisch, Burgundisch (ausgestorbene Sprachen)), Nordgermanisch oder Skandinavisch (Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Isländisch, Faröisch) und Westgermanisch (Deutsch, Englisch, Friesisch, Niederländisch), das wiederum in Nordsee- (Ingwäonisch), Rhein-Weser- (Istwäonisch) und Elbgermanisch (Erminonisch) untergliedert wird.

Germanische Trias: kontinentale Ausbildung der Trias in Mittel- und Westeuropa, mit den Abteilungen Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper; vorwiegend sandige Schichtfolgen, unterbrochen durch karbonatische Ablagerungen im Muschelkalk. Nutzbare Gesteine sind Sandstein, Kalk und Steinsalz.

Germanistik: Wissenschaft von der deutschen Sprache und den deutschsprachigen Literaturen, ursprünglich Altertums- und Rechtskunde der germanischen Völker. Ihre Entstehung im 19. Jahrhundert ist eng verbunden mit dem bürgerlich-progressiven Streben nach einem einheitlichen deutschen Nationalstaat. Sprachwissenschaftlicher Vorarbeiten leisteten unter anderem J. Schottel (Grammatik), M. Kramer und J. L. Frisch (Wörterbücher). J. Herder orientierte auf die funktionalstilistische Vielfalt und die «Kultur der Sprache». Die Grundlage der deutschen Sprachwissenschaft schufen die Brüder Grimm, vor allem mit dem «Deutschen Wörterbuch» und J. Grimms «Deutscher Grammatik» (1819/37), mit der die historische wissenschaftliche Sprachbeschreibung begründet wurde. K Lachmann erhob mit der Übernahme der textkritischen Methode die deutsche Philologie zur selbständigen Wissenschaft. J. A. Schmeller begründete die historische Mundartforschung, die von Germanistik Wenker unter anderem zur Sprachgeographie weiterentwickelt wurde. T. Frings verband Sprachgeographie und Sprachgeschichte. Grundlagen der deutschen Literaturwissenschaft schufen die Romantiker (besonders die Brüder Schlegel); die gesellschaftsgeschichtlich orientierte germanistische Literaturwissenschaft beginnt mit Gervinus, T. W. Danzel und H. Hettner.