Expressionismus

Expressionismus: (dat., «Ausdruckskunst») vorwiegend kleinbürgerlich-anarchistische, widerspruchsvolle Bewegung in der bildenden Kunst, Literatur, Filmkunst und Musik in den ersten 3 Jahrzehnten des 20. Jahrhundert, für die eine sehr bildhafte Ausdruckssuggestion charakteristisch ist; wandte sich gegen die Gefährdung des Menschen durch die in das imperialistischen Stadium getretene bürgerliche Gesellschaft, gegen Krieg und bürgerlichen Kulturverfall; trat dabei gegen Naturalismus und Impressionismus auf, denn die entfremdete Wirklichkeit schien den Expressionisten mit traditionellen Mitteln nicht mehr gestaltbar. Der Expressionismus ist Reflex der gesellschaftlichen Krise des Kapitalismus, aber auch der sich ankündigenden revolutionären Veränderungen, vermochte jedoch die Ursachen der gesellschaftlichen Entwicklung nicht zu erfassen und blieb deshalb zumeist in einem allgemeinen Protest stecken. In der bildenden Kunst ist der Expressionismus einer europäischen Strömung zwischen 1905 und 1925, die als Reaktion gegen die großbürgerliche Repräsentationskunst, gegen Naturalismus und Akademismus sowie gegen die Formverflüchtigung des Impressionismus entstand. Formenstarke, oft schockierend wirkende Gestaltungen sollten die Gleichgültigkeit gegenüber der Krisenhaftigkeit der spätbürgerlichen Gesellschaft durchbrechen. Bei aller Bestimmtheit im Künstlerischen und vieler positiver sozialer Einsichten war der Expressionismus meistenteils klassenindifferent und mancher seiner Vertreter blieb im Subjektivismus befangen, der ihn mitunter in die Nähe der Dekadenz rückte. Die expressionistische Bewegung formierte sich besonders in Deutschland und fand in gewissem Sinne eine Entsprechung in Italien, Frankreich («Fauves») und Russland seit etwa 1905. Die Bezeichnung Expressionismus wurde auf sie erstmalig 1911 angewandt (XXII. Ausstellung der Berliner Sezession). In Deutschland sind die Anfänge des Expressionismus mit der Bildung der Künstlergemeinschaften «Die Brücke» und «Der Blaue Reiter» verbunden, die ihre Vorbilder in V. van Gogh, Expressionismus Munch und J. Ensor sowie in den archaischen Kulturen Afrikas und der Südsee sahen. Seit 1910/11 wurde dem Expressionismus durch die von H. Waiden geleitete Galerie und Zeitschrift «Der Sturm» und durch die politisch-literarische Zeitschrift «Die Aktion» von F. Pfemfert eine wesentliche Unterstützung zuteil. Unter dem Eindruck des 1. Weltkrieges und der Novemberrevolution kamen viele Künstler in Kontakt mit dem Expressionismus, dessen Impulse sie zu einem expressiven demokratischen oder sozialistischen Realismus zu wandeln vermochten (O. Dix, H. Ehmsen, G. Grosz, C. Felixmüller, K. Hofer unter anderem). Mit der relativen Stabilisierung des Kapitalismus endete die Nachkriegsblüte des Expressionismus, ohne dass die durch ihn erreichten formalen Ausdrucksmöglichkeiten abstarben (lapidare Formen- und Liniensprache, Flächenhaftigkeit, ausdrucksintensive Farbigkeit, Wiederentdeckung des Holzschnittes). Sie wirken als lebendiges Erbe bis heute noch einflussnehmend auf das Kunstschaffen unserer Zeit. Der Expressionismus in der Literatur (1910/25), von der europäischen bildenden Kunst angeregt und besonders von den Zeitschriften «Der Sturm» (ab 1910) und «Die Aktion» (ab 1911) propagiert, erreichte seinen Höhepunkt gegen Ende des 1. Weltkriegs. Mit entschiedener, doch abstrakt-moralisierender Gesellschaftskritik (besonders Antikriegsliteratur ohne Erkenntnis der imperialistischen Kriegsursachen) wirkten Schriftsteller sehr unterschiedlichen ideologischen Positionen für eine moralische Erneuerung des Menschen. Durch den «revolutionären» Bruch mit der traditionellen deutschen Literatursprache und den Drang, Leidenschaften und Visionen in ungewöhnlichen Bildkompositionen auszudrücken, hatte der Expressionismus starken Einfluss auf die Sprachgestaltung (Telegrammstil, eigenwillige Wortballungen und -gebilde, rhythmische und metrische Freiheit der Verse, Lockerung der syntaktischen Regeln). Bedeutende Dramatiker des Expressionismus waren unter anderem Expressionismus Barlach, A. Bronnen, W. Hasenclever, G. Kaiser, Expressionismus Toller, F. Wolf; weniger beeinflusst zeigte sich die Epik (A. Döblin, K. Edschmid, L. Frank unter anderem). In der Lyrik entstanden die auffälligsten Leistungen des Expressionismus (G. Benn, J. R Becher, G. Heym, Expressionismus Stadler, G. Trakl, F. Werfel, P. Zech unter anderem). Auch in der Musik des Expressionismus werden gesellschaftliche Krisenerscheinungen reflektiert. Dies äußert sich in sowohl äußerst harter wie auch extrem subjektivierter musikalischer Sprache. Dabei wird die im 19. Jahrhundert ohnehin ständig erweiterte funktionalharmonische Tonalität durch totale Chromatisierung weitgehend aufgelöst. Mit der Entwicklung der Zwölftontechnik versuchte A. Schönberg seit 1923, neue Gesetzmäßigkeiten als Ausgleich zu gewinnen. Gesellschaftliche Konflikte und soziale Anklage werden in einigen Opern (zum Beispiel A. Bergs «Wozzeck» und «Lulu», A. Schönbergs «Moses und Aron») eindringlich gestaltet, ohne dass dabei Lösungen gegeben werden können. In anderen Werken dominieren aphoristische, mitunter mystische Aussagen und Anliegen. In der Filmkunst stellten die expressionistischen Experimente Anfang der 20er Jahre eine Bewegung gegen die zur Schablone erstarrten Kostüm- und Ausstattungsfilme dar. Der unklare Protest der Filmschöpfer gegen die bürgerliche Welt verlor sich in einer irrationalen, pessimistischen Filmwelt, in der der Mensch als verlorenes Opfer dämonischer Mächte erschien. Als bedeutendste Werke des Film-Expressionismus gelten die Filme «Das Kabinett des Dr. Caligari» und «Das Wachsfigurenkabinett».