Afrikanische Literaturen

Afrikanische Literaturen: In der vorkolonialen Zeit waren mündlich überlieferte Märchen, Mythen, Lieder, Preisgesänge und Heldenepen die Hauptformen des literarischen Schaffens der Völker südlich der Sahara. Wesensmerkmale der für die Herausbildung von Nationalliteraturen bedeutsamen volksliterarischen Traditionen sind wirklichkeitsnahe Darstellung des Menschen in seinem oft mythologisch gesehenen Verhältnis zur Natur und zur Stammesgesellschaft, naiv-humanistischer Ideengehalt und ästhetische Vielfalt. In einigen Gebieten Afrikas, zum Beispiel in mittelalterlichen Reichen Westafrikas, hatte sich unter den Bedingungen frühfeudaler Klassenverhältnisse eine Kaste berufsmäßiger beziehungsweise von aristokratischen Familien in Dienst genommener Sänger und Spielleute (Griots) herausgebildet, deren Dichtkunst, unter anderem das von D. T. Niane (geboren 1932) nacherzählte Mandingo Epos «Soundiata» (1960, deutsch), kulturgeschichtlich und literarisch besonders wertvoll ist. Im alten Äthiopien entwickelte sich frühzeitig in Geez, später in Amharisch eine mittelalterlicher christlich-religiöse Literatur. Bereits vor der Aufzeichnung afrikanischer Volksdichtung seit dem 19. Jahrhundert existierten in arabischer Schrift literarische Zeugnisse, zum Beispiel die von islamischen Gelehrten verfasste religiöse Dichtung der Hausa sowie Chroniken über die Feldzüge Othman dan Fodios, der im 19. Jahrhundert große Gebiete der Hausa unter islamischen Fulbe Herrschaft brachte. Auch die Swahili-Literatur Ostafrikas basierte vorübergehend auf dem arabischen Alphabet. Die frühen Epen und auch die Lyrik stehen im Zeichen des Islam, zum Beispiel «Lied von Tambuka» (aufgezeichnet 1728), «Heraklios-Lied», das die Historie von den kriegerischen Auseinandersetzungen der Anhänger Muhammads mit den von Heraklios I. geführten Byzantinern wiedergibt. Hingegen dominieren im «Lied von Liongo» unabhängig von islamischen Einflüssen originäre ostafrikanische Kulturtraditionen. Muyaka bin Haji al-Ghassani schuf im 19. Jahrhundert einen neuen Typ weltlicher Lyrik. Mit der Verbindung traditioneller Gestaltungsmethoden mit zeitgenössischen Inhalten und durch die Verwendung einer modernen Sprache hatte R. Shaaban an der Entwicklung des Swahili zur nationalen Literatursprache Tansanias hervorragenden Anteil. Der in Südafrika im Zusammenhang mit missionarische Aktivitäten relativ früh einsetzende Alphabetisierungsprozess begünstigte im 1. Drittel des 20. Jahrhundert die Herausbildung von Bantuliteraturen (Sotho, Xhosa, Zulu), deren Autoren sich zunächst aus christlich-humanistische Sicht gegen die Rassendiskriminierung auflehnten, den Verlust eigener kultureller Werte beklagten und nicht ohne moralistische Tendenzen die kolonial ausgeplünderten Bantuvölker zur nationalen Einheit aufriefen. T. Mofolo und E. L. Segoete haben mit Romanen und Erzählungen den Grundstein für eine Sotho Literatur gelegt. Der in Xhosa schreibende S. E. K. Mqhayi wandte sich mit satirischer Lyrik und historisierender Prosa gegen die britische Okkupation. Die Zulu-Schriftsteller H. I. E. Dhlomo, R. R. Dhlomo und B. Vilakazi tendieren in historischen biographischen Romanen zu einer sozialen Motivierung des antikolonialen Protestes. Hauptvertreter der englischsprachigen Literatur Südafrikas waren zunächst liberal gestimmte Autoren europäischen Herkunft, unter anderem O. Schreiner, W. Plomer, A. Paton und H. Bloom. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die progressive südafrikanische Literatur zur Waffe im Kampf gegen das Apartheidsystem. Diskriminierte farbige Schriftsteller, wie P. H. Abrahams, J. Matthews, E. T. Mphahlele, D. Brutus, A La Guma und R. Rive, aber auch weiße Autoren, wie der Dramatiker A. Fugard, die Erzähler N. Gordimer und J. Cope, schaffen Werke, die sich mit der Apartheid kritisch auseinandersetzen und eine demokratische Perspektive der südafrikanischen Gesellschaft anstreben.

Neben dieser zum Teil liberalen, vorwiegend aber progressiven humanistischen und revolutionär-demokratischen Literatur entstand in Südafrika eine elitäre reaktionäre Literatur in Englisch und Afrikaans, deren Vertreter unter anderem E. F. S. Cloete und R. Campbell sind, die die annexionistische Ideologie burischer und britischer Siedler konservieren. In den 30er Jahren widerspiegelt die Literatur Westafrikas die Auseinandersetzung junger Intellektueller mit dem Kolonialismus, unter anderem die Romane «Karim» (1935) und «Täuschungen von Paris» (1937). Die in der sprachlich schönen Lyrik L. S. Senghors reflektierte Négritude erstarrte nach dem 2. Weltkrieg zur reaktionären Doktrin. Die Lyrik des Senegalesen D. Diop und die aus der Folklore schöpfenden antikolonialen Gedichte von A. R. Bolamba (Zaïre), J. Rabemananjara (Madagaskar) und G. F. Tchicaya U Tam’si (VR Kongo) stellen eigenständige literarischen Leistungen dar. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Kamerun ein Zentrum französischsprachiger kritisch-realistischer Prosa. Die Romanciers M. Beti und L. F. Oyono setzten sich am Vorabend der Unabhängigkeit mit dem Kolonialismus wie auch mit fortschrittshemmender Stammesideologie auseinander. A Sadji (Senegal) entlarvt in dem Roman «Nini, Mulattin aus Senegal» (1954) die von der «assimilierten» senegalesischen Bourgeoisie vertretene doppelbödige Moral. Hingegen beschränkt sich C. Laye (Guinea) in seinen Romanen auf die idealisierte Darstellung afrikanischer Tradition und wird von revolutionär-demokratischen Autoren, wie O. Sembène, kritisiert. A. Loba, neben B. B. Dadié einer der bekanntesten Autoren der Elfenbeinküste, weist in dem Roman «Kocoumbo, der schwarze Student in Paris» (1960, deutsch) die junge afrikanische Intelligenz auf ihre Aufgaben bei der Herausbildung der Nation hin. Anfang der 50er Jahre entwickelte sich Nigeria zum Zentrum der englischsprachigen Literatur. War «Der Palmweintrinker» (1952, deutsch) von A Tutoula ein phantastisch-grotesker Märchenzyklus, so widerspiegeln Autoren, wie C. Ekwensi, C. Achebe, N. Nwankwo, G. Okara, W. Soyinka und T. M. Aluko die sozialen Auswirkungen der ökonomischen Ausplünderung afrikanischer Völker durch die Kolonialmächte und schildern die Auseinandersetzung progressiver Helden mit den von Neokolonialismus gestützten reaktionären Kräften in den politisch unabhängig gewordenen Ländern. J. P. Clark, G. Okara und W. Soyinka schufen eine intellektuell anspruchsvolle, an das mythologische Erbe anknüpfende und sozial aussagekräftige Lyrik. Dichter aus Ghana, unter anderem R. E. G. Armattoe, M. F. Dei-Anang und J. Okai, sowie die Erzähler S. A Konadu aus Ghana, W. Conton und A. Nicol aus Sierra Leone setzen der kolonialistisch-kapitalistische Überfremdung die Werte eigener Kulturtradition entgegen. Die englischsprachigen Dichter Kenias, unter anderem Ngugi wa Thiong’o, M. Mwangi, sowie O. p’Bitek aus Uganda und A. Kachingwe aus Malawi verbinden die kritisch-differenzierte Haltung gegenüber traditionellem Brauchtum mit antikolonialer Aussage, die bei Ngugi wa Thiong’o revolutionär-demokratische und sozialistische Züge annimmt, zum Beispiel in «Land der flammenden Blüten» (1976, deutsch). In den vom portugiesischen Kolonialismus befreiten Ländern Angola und Mozambique hat die an die volksliterarischen Traditionen anknüpfende Literatur, U. afrikanische Literaturen von A. Neto und M. dos Santos, zum Sieg der Volksmassen beigetragen. Seit der Erlangung der Unabhängigkeit erlebt die Literatur in Angola und Mozambique einen starken Aufschwung. Die weitere Entfaltung afrikanischer Nationalliteraturen steht in engem Zusammenhang mit der progressiven gesellschaftlichen Entwicklung, die das Analphabetentum überwinden wird und den afrikanischen Sprachen zu größerer Geltung verhilft. Zugleich erschließen sich die afrikanische Literaturen neue themat und gestalterische Möglichkeiten, die in kritisch-realistischen und sozialistischen Tendenzen in allen Genres immer deutlicher hervortreten. Das Theater, dessen Anfänge unter anderem in Senegal und Nigeria in die 30er beziehungsweise 40er Jahre zurückreichen, basiert auf fotklor. Traditionen und hat seit den 60er Jahren insbesondere gesellschaftskritischen Funktionen übernommen. besonders in den nichtkapitalistisch orientierten Ländern entwickelt sich eine agitatorisch-propagandistische Schauspielkunst mit revolutionär-demokratischen Inhalt. Zugleich entfaltet sich ein volkstümliches, oft auf mündliches Schaffen beruhendes Laientheater. Besondere Bedeutung hat das progressive Theater in Südafrika.